Im Windschatten der Präsidentschaftswahlen streben die Demokraten am 4. November auch eine deutliche Mehrheit im US-Kongress an. Konservative Kommentatoren warnen vor «linker Super-Mehrheit».
washington. Ausgerechnet der Bundesstaat Alaska, die Heimat der republikanischen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, bietet den Demokraten beste Aussichten, den Republikanern in den Senatswahlen einen Sitz abzujagen. Dort kämpft der unter Korruptionsverdacht stehende republikanische Senator Ted Stevens gegen den demokratischen Bürgermeister von Anchorage, Mark Begich, um sein politisches Überleben. Und es sieht nicht gut aus für Stevens. Erstmals seit 1981 könnte damit wieder ein Demokrat auf einem der beiden Senatorensitze für Alaska Platz nehmen.
Im Rennen um das eine Drittel der 100 Senatssitze, die alle zwei Jahre neu gewählt werden, bläst den amerikanischen Konservativen auch andernorts ein strammer Wind ins Gesicht. Nach dem Stand der Dinge dürfen sie bestenfalls mit dem Verlust von vier Senatoren rechnen. Kommt es für sie aber zum politischen GAU, verlieren die Republikaner elf Sitze. Darunter den von Minderheitsführer Mitch McConnell, der im ultrakonservativen Kentucky gegen den Demokraten Bruce Lunsford antreten muss.
Als sehr wahrscheinlich gelten Zugewinne der Demokraten bei den Senatswahlen in den Bundesstaaten Virginia, Colorado und New Mexico. Gute Aussichten bestehen darüber hinaus in Minnesota, New Hampshire, North Carolina und Oregon, während den Demokraten sowohl in Georgia als auch in Mississippi Aussenseiter-Chancen eingeräumt werden.
«Grösser geht es nicht», beschreibt der Politologe Lary Sabato von der Universität von Virginia die demokratische Flutwelle, die auf den Kongress zurollt – wenngleich auch er sich der Skepsis anderer politischer Experten anschliesst, die es für eher unwahrscheinlich halten, dass den Demokraten das Husarenstück gelingt, ein «Filibuster»-sicheres Mehr im Senat zu erreichen.
Dafür müssten sie am 4. November mindestens neun Sitze hinzugewinnen, um die angestrebte Zahl 60 zu erreichen. Die Zustimmung so vieler Senatoren wird jeweils benötigt, um eine Debatte beenden zu können und zur Abstimmung zu schreiten.
Ohne Zweifel werden die Demokraten dagegen ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus weiter ausbauen. Dieses steht alle zwei Jahre vollständig neu zur Wahl an und wird zurzeit von den Demokraten mit 236 Sitzen kontrolliert. Die Republikaner halten 199 Sitze. In den Medien zirkuliert eine «interne Todesliste» der Konservativen, in der Strategen der «Grand Old Party» mit einem Verlust von bis zu 35 Sitzen rechnen.
Nicht ohne Grund warnt die konservative Meinungsseite des «Wall Street Journal» vor einer «linken Super-Mehrheit», «die zu einer der profundesten und ideologischsten Verschiebungen in der US-Geschichte» führen könnte. Dies bedeute eine Rückkehr des «aktivistischen Staates», der in der Reagan-Zeit abgedankt hatte. Ähnlich sieht es der «Weekly Standard», das Leibblatt der Neokonservativen, das die Konsequenzen eines demokratischen Triumphs in düstersten Farben ausmalt. Konservative, so die Leitartikler, «sollten sich wirklich vor einer Einparteien-Herrschaft, grossem Staat und Liberalismus fürchten.»
Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain versucht, auf den letzten Metern des Wahlkampfs die Furcht vor einer Alleinregierung der Demokraten zu schüren, indem er seinem demokratischen Konkurrenten Barack Obama sozialistische Färbung unterstellt. Damit hofft er, vor allem Wähler zu erreichen, die die Teilung der Regierungsgewalt zwischen Kongress und Weissem Haus bevorzugen.
Bestätigt sich am Wahltag aber der Trend, der sich in den Umfragen abzeichnet, könnte sich Obama als Präsident auf einen Kongress stützen, der es ihm erlaubt, seine innen- und wirtschaftspolitischen Ziele durchzusetzen. Dazu gehören die Einführung einer universalen Krankenversicherung und eine Reform des Steuerrechts.
Von diesem Szenario geht der Analyst Stuart Rothenberg aus. «In allen knappen Wechselwahlen der Vergangenheit entschied eine Flut alle Rennen zugunsten einer Partei.» 2008 wohl für die Demokraten. Die Wähler hätten sich in diesem Fall für einen Politikwechsel entschieden, der Obama ein starkes Mandat gibt, wie es Lyndon Johnson (1965) und Franklin D. Roosevelt (1933) hatten.