Die Republikaner stecken in einer politischen Sackgasse: Die Reform von Obamacare würde Geld sparen, aber sie hätte auch drastische Folgen.
Rob Wittman ist ein Konservativer der alten Schule: Ein Republikaner, der sich seine Sporen in der Lokalpolitik abverdiente, bevor er 2007 als Vertreter eines Wahlbezirks in Virginia den Sprung ins Repräsentantenhaus schaffte. Dort machte sich der umgängliche 58-Jährige als Sicherheitspolitiker einen Namen. Aus der Reihe scherte er höchstens in umweltpolitischen Fragen. Doch nun stellt sich Rob Wittman an die Spitze des parteiinternen Widerstandes gegen die konservative Gesundheitsreform.
In einer Stellungnahme auf Facebook gab der Abgeordnete gestern bekannt, dass er gegen den Entwurf stimmen werde, mit dem die Republikaner die 2010 verabschiedete Krankenversicherungsreform (auch «Obamacare» genannt) ersetzen wollen. «Ich glaube nicht, dass dieses Gesetz erreichen wird, was kurz- und längerfristig im Interesse der Bevölkerung von Virginia ist, und deshalb muss ich mich dagegen aussprechen», schrieb er.
Auslöser dieser Stellungnahme: eine vernichtende Analyse des CBO (Congressional Budget Office), des parteipolitisch unabhängigen Budgetbüros des nationalen Parlaments. Die Erbsenzähler berechneten, dass nach dem Ende von Obamacare die Zahl der krankenversicherten Amerikaner 2018 um 14 Millionen sinken werde – auch weil Ryancare, wie die Reform der Reform in Washington in Anspielung auf Parlamentspräsident (Speaker) Paul Ryan genannt wird, die staatliche Versicherungspflicht abschaffen will. Politisch folgenreicher ist allerdings die zweite Schätzung, die das CBO publikmachte: Demnach werden bis ins Jahr 2026 rund 10 Millionen arme Amerikaner ihren Versicherungsschutz verlieren – weil Ryancare eine Expansion der staatlichen Krankenkasse Medicaid rückgängig machen würde. Damit sparen die Republikaner in Washington zwar viel Geld; die Experten sprechen von Einsparungen in der Höhe von 337 Milliarden Dollar.
Der politische Schaden, den diese Gesundschrumpfung von Medicaid aber anrichten könnte, jagt vielen republikanischen Politikern Angst ein. «Ich mache mir Sorgen um die Menschen, die über Medicaid versichert sind», sagte Senator Rob Portman, ein moderater Republikaner aus Ohio. Und Bill Cassidy, ein konservativer Senator aus dem Südstaat Louisiana, sagte: Treffe die CBO-Analyse zu, dann entspreche dies nicht dem, was Präsident Donald Trump versprochen habe – denn dieser hatte im Wahlkampf gesagt, dass niemand seinen Versicherungsschutz verlieren werde. Anzunehmen ist deshalb, dass sich Speaker Ryan und seine Gesundheitsexperten nun Gedanken über eine Nachbesserung von Ryancare machen.
Allzu viel Spielraum hat die Führungsriege der Republikaner aber nicht. Denn der vorliegende Gesetzesentwurf stösst schon jetzt am rechten Parteiflügel im Repräsentantenhaus und Senat auf Widerstand. Eine Nachbesserung, um die Kritiker am linken Parteirand zufriedenzustellen, würde wohl zu einer offenen Revolte führen – und einem Scheitern der Vorlage im Senat, in dem die Republikaner nur 52 der 100 Sitze innehaben.
Offen ist, wie Präsident Trump auf diese politische Herausforderung reagiert. Bisher hatte er die Gesetzesarbeit an Ryan und sein Team delegiert. In ersten Reaktionen wiesen Vertreter des Weissen Hauses die CBO-Analyse zurück. Vielleicht wird sich der Präsident nun stärker in die parlamentarischen Verhandlungen einmischen – und aus Ryancare würde bald Trumpcare.
Renzo Ruf, Washington