UNGARN/EU: Viktor Orbáns Rechnung in Millionenhöhe

440 Millionen Euro: So viel soll Brüssel für den ungarisch-serbischen Grenzzaun zahlen – zumindest wenn es nach Ungarns Ministerpräsident geht. Die EU reagiert gelassen.

Remo Hess, Brüssel
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Wäre es ein Witz, Ungarns Premierminister hätte Sinn für Humor bewiesen: Ausgerechnet Viktor Orbán, der in der Flüchtlingskrise nichts von europäischer Lastenteilung wissen wollte und sich bis heute gegen die Aufnahme von in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlingen wehrt, beschwört in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den «Geist europäischer Solidarität»: Mit dem Bau seines Grenzzaunes an der EU-Aussengrenze zu Serbien und mit der Ausbildung von 3000 Grenzschutzbeamten schütze Ungarn «nicht nur sich selbst, sondern ganz Europa vor der Flut illegaler Migranten», so Orbán. Es sei «keine Übertreibung zu sagen, dass die Sicherheit europäischer Bürger vom ungarischen Steuerzahler finanziert wurde». Deshalb sei es seiner Ansicht nach nur «vernünftig, die Kosten von 884 Millionen Euro in zwei gleich grosse Beträge aufzuteilen». Er hoffe, dass Brüssel das Geld im Sinne der Solidarität zeitnah überweisen werde, schreibt der ungarische Ministerpräsident weiter.

Die Reaktion der EU-Kommission liess nicht lange auf sich warten: Eine Sprecherin teilte mit, dass der Antrag Orbáns geprüft werde. Es sei zu begrüssen, dass Ungarn anerkenne, dass Solidarität eines der Kernprinzipien in der EU sei. Jedoch handle es sich hier nicht um eine Einbahnstrasse, betonte die Sprecherin.

Brüssel beteiligt sich nicht an Grenzzäunen

Brüssel sei wie in der Vergangenheit bereit, eine «angemessen Unterstützung» zum Grenzmanagement an der EU-Aussengrenze beizusteuern. Dabei verwies sie auf die rund 100 Millionen Euro, die Ungarn bis 2020 bereits zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden, und das EU-Personal, das sich zurzeit an der ungarisch-serbischen Grenze im Einsatz befindet. Zugleich hiess es jedoch, dass sich die EU nie direkt an dem Bau von Zäunen beteilige. Eine Beteiligung an solchen Kosten hatte Brüssel bereits im Fall der 130 Kilometer langen litauischen Grenzanlage zur russischen Enklave Kaliningrad abgelehnt.

Den Zeitpunkt für sein Manöver wählte Orbán nicht zufällig. Nächste Woche verkündet der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil zur Flüchtlingsverteilung in der EU. Ungarn und die Slowakei hatten gegen den Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister von 2015 geklagt. Dieser sieht die Verteilung von insgesamt bis zu 120000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten vor. Erwartet wird, dass der EuGH die Verteilung als rechtens erklärt.

Um sich aber weiter gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wehren zu können, könnte Orbán dann ins Feld führen, dass sich Brüssel bei seinen Anstrengungen zum Schutz der Aussengrenze ja auch nicht solidarisch zeige.

Remo Hess, Brüssel