UMSTRITTEN: Hochspannung um Atomkraftwerk

Der französische Stromkonzern EDF billigt ein Abkommen zur Schliessung des Atomkraftwerks Fessenheim nahe Basel. Die Schliessung war ein Wahlkampfversprechen von Noch-Präsident Hollande. Doch der wichtigste Entscheid steht aus.

Stefan Brändle/Paris
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Stefan Brändle/Paris

Der Verwaltungsrat von «Electricité de France» (EDF) hat gestern einer Abfindung durch den französischen Staat zugestimmt: Er muss den Konzern mit 446 Millionen Euro für die allfällige Schliessung des Reaktorgespannes in Fessenheim entschädigen. Sechs Personalvertreter im 18-köpfigen Verwaltungsrat stimmten gegen das Abkommen, sechs unabhängige Delegierte dafür. Da die Behördenvertreter vorschriftsgemäss in den Ausstand getreten waren, hatte Konzernvorsteher Jean-Bernard Lévy den Stichentscheid – und der fiel nach der Sitzung positiv aus.

Der knappe Entscheid ist von grosser politischer Tragweite: Erstmals will die Nuklearnation Frankreich zwei ihrer Atomreaktoren abschalten, um eine Energiewende einzuleiten. Präsident François Hollande hatte 2012 angekündigt, der Atomanteil an der Stromproduktion solle bis 2015 von heute 75 auf 50 Prozent sinken. Den Beginn soll die Abschaltung von Fessenheim machen. Dieses 1977 in Betrieb genommene AKW liegt in einer Erdbebenzone und zudem acht Meter unter der Wasseroberfläche des anliegenden Rheinkanals.

EDF könnte auf Zeit spielen

Der Haken an der angekündigten Schliessung: Hollande wird im Mai sein Amt aufgeben; der aktuelle Favorit für seine Nachfolge, der konservative Kandidat François Fillon, hat bereits erklärt, er wolle am AKW Fessenheim festhalten. Auch die finanziell angeschlagene EDF hat keinerlei Lust, das hoch rentable AKW zu schliessen. Ein Grossteil der 850 Angestellten ist am Montag in den Streik getreten, um gegen die Schliessung zu de­monstrieren. Diese Mitarbeiter sind paradoxerweise gar nicht so unglücklich über die EDF-Beschlüsse von gestern. «Der Verwaltungsrat hat nur die Entschädigungsfrage geregelt», erklärte Gewerkschaftsvertreter Pascal Bakchich.

«Den entscheidenden Punkt, nämlich das eigentliche Gesuch um Stilllegung, hat er offengelassen.» Dieses Gesuch muss die EDF an einer nächsten Sitzung beschliessen – und dafür ist noch kein Datum festgesetzt. Wenn es Lévy gelingt, diesen Beschluss über die Präsidentschaftswahlen von Anfang Mai hinaus zu verzögern, kann Hollande das endgültige Abschaltungsdekret nicht mehr unterzeichnen. Gelingt ihm jedoch die Unterzeichnung, könnte ein künftiger Präsident den Entscheid nurmehr mit Mühe kippen: Ein neues Genehmigungsverfahren müsste in Gang gesetzt werden, und dies würde mehrere Jahre dauern und Millionen kosten.

Hollande will Schliessung um jeden Preis

Präsident Hollande wird alles daransetzen, den Fessenheim-Entscheid noch selber zu fällen. Er weiss, dass seine Amtszeit schon jetzt als weitgehend gescheitert gilt; das AKW ist seine letzte Chance, wenigstens umweltpolitisch Wort zu halten und in die Geschichtsbücher einzugehen. Laut dem satirischen Pariser Wochenblatt «Le Canard Enchaîné» geht der Präsident derzeit mit «brutaler Erpressung» gegen EDF vor, um den Widerstand der Fessenheim-Befürworter noch zu brechen.

So verknüpft er damit die Zukunft des neuartigen EPR-Druckreaktors in Flamanville, an dem EDF noch mehr gelegen ist als an dem alten Kraftwerk im Elsass. Hintertreibt der Stromkonzern dessen Abschaltung, verweigert Hollande die Verlängerung der zehnjährigen Baubewilligung für Flamanville. Diese läuft im April dieses Jahres aus. Das erklärt wohl auch den Stichentscheid Lévys. Hollande hofft, auf diese Weise das Abschaltungsdekret für Fessenheim doch noch unter Dach und Fach zu bringen, solange er noch Präsident ist.