SYRIEN: Seite an Seite mit Dschihadisten

In der Kurdenregion Afrin im Norden des Landes wächst die Angst vor der mit der türkischen Armee verbündeten Freien Syrischen Armee. In ihren Reihen finden sich auch ehemalige IS-Kämpfer.

Michael Wrase, Limassol
Drucken
Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee auf dem Burseya-Berg in der nordsyrischen Region Afrin. (Bild: Emin Sansar/Anadolu/Getty (28. Januar 2018))

Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee auf dem Burseya-Berg in der nordsyrischen Region Afrin. (Bild: Emin Sansar/Anadolu/Getty (28. Januar 2018))

Michael Wrase, Limassol

Sie hocken entspannt im Halbkreis und lauschen verzückt einem spindeldürren Tschetschenen, der mit kehliger Stimme ein sogenanntes «Naschid» singt, eine dschihadistische Hymne, mit der die Zuhörer auf den Kampf und den womöglich bevorstehenden Märtyrertod eingestimmt werden sollen. «Noch gestern waren wir mit Bin Laden in Tora Bora, und heute ver­nichten wir die Ungläubigen in Afrin», schlägt der Dschihad-Kämpfer den Bogen von Afghanistan nach Syrien, wo der auf Dschihadisten-Webseiten veröffentlichte Videoclip in den letzten Tagen entstanden ist.

Ebenfalls aus Syrien, aus dem kurdischen Dorf Bulbul in der Region Afrin, stammt ein Video, das eine Gruppe von «Rebellen» bei der Zerstörung eines Spirituosen-Shops zeigt. Wütend zerschmettern die Vollbärtigen eine Raki-Flasche nach der anderen und beschimpfen dabei die Eigentümer des Ladens als «Schweine» und «Ungläubige», welche, «Inshallah», ihrer «gerechten Strafe nicht entgehen» würden.

Dschihadisten-Propaganda gegen kurdische Kämpfer

Diese wurde bei Amina Omar bereits vollzogen. Die Kämpferin der kurdischen Volksverteidigungsmilizen (YPG) kam am vergangenen Samstag in der Ortschaft Qarnah ums Leben. Auf einem Video ist eine Gruppe syrischer «Rebellen» zu sehen, die sich um die grauenvoll geschändete Leiche der jungen Frau postiert haben und lautstark «Allah den Allmächtigen» preisen. Die tote YPG-Kämpferin wird als «Äffin, Schwein und PKK-Terroristin» verunglimpft. Anderen «kurdischen Verbrechern» wird fäusteschwingend das gleiche Schicksal prophezeit.

Bei den Akteuren der beschriebenen Videos handelt es sich offiziell um Angehörige der Freien Syrischen Armee (FSA), die nach den Worten des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan «heldenhaft an der Seite unserer Soldaten kämpfen und sterben». Tatsächlich haben die meisten sogenannten «Rebellen» vor ihrer Anwerbung durch die türkische Armee für dschihadistische Verbände gekämpft.

Wer sein Geld früher beim «Islamischen Staat» verdiente, habe sich nach dem Zerfall der Terrormiliz halt umorientieren müssen, kommentiert die Politikwissenschafterin Magdalena Kirchner vom Istanbul Policy Center der Mercator-Stiftung die «Neuausrichtung» der türkischen Verbündeten in Syrien. Dass sich an ihrer ideologischen Ausrichtung nichts geändert hat, ist offensichtlich. Blanker Hass auf die vergleichsweise liberalen Kurden ist weit verbreitet. In fast allen Videos der syrischen «Rebellen» wird nicht nur den ­YPG-Kämpfern, sondern pauschal allen Kurden Vernichtung und Vertreibung angedroht. Entsprechend gross ist die Angst unter der kurdischen Zivilbevölkerung im Norden Syriens.

Aufrufe zur Mässigung von Seiten der türkischen Armeeführung werden entweder ignoriert, oder sie fehlen gänzlich. Schliesslich seien die Angehörigen der Freien Syrischen Armee keine Terroristen, sondern eine Truppe, welche sich «aus Kämpfern aller Konfessionen und Ethnien zusammensetzt», verteidigte Staatschef Erdogan die «mutigen Partner» seiner Streitkräfte.

Söldner aus Zentralasien und dem Kaukasus

Auch Waffenbrüder aus anderen Staaten wie etwa Tschetschenien, Usbekistan und Aserbaidschan sind willkommen. Schliesslich fliesse in ihren Adern türkisches Blut, verteidigen lokale Kommandeure die Verpflichtung von gebietsfremden Söldnern. Sogar Uiguren aus der chinesischen Provinz Xinxjiang haben – über die Türkei – den Weg nach Syrien gefunden, wo sie vom Al-Kaida-Ableger Faylak Al-Sham aufgenommen und an der Waffe ausgebildet wurden.

Als Angehörige der FSA sollen sie nun zur Befreiung der Kurdenregion Afrin beitragen – und eines Tages wieder nach Aleppo marschieren. Die nordsyrische Millionenmetropole hatten die dschihadistischen Verbündeten der Türkei im Dezember 2016 unter massivem Druck aus Russland aufgeben müssen.