Erstmals verlegt die russische Armee Truppen in die autonomen syrischen Kurdengebiete. Dort sind bereits US-Truppen stationiert. Das russische Vorgehen ist auch ein Warnschuss.
Als die britische Nachrichtenagentur Reuters am Montagnachmittag über die «Errichtung eines russischen Militärstützpunktes» in den syrischen Kurdengebieten berichtete, kam das Dementi aus Moskau prompt: Man habe überhaupt keine Pläne für eine weitere Militärbasis auf dem Territorium der Arabischen Republik Syrien, twitterte das russische Verteidigungsministerium. Zur effektiveren Bekämpfung des islamistischen Terrorismus habe man aber eine «Sektion des russischen Versöhnungszentrums» in die von syrischen Kurden dominierte Region Afrin verlegt.
Dauerhaft geschützt wird das «Versöhnungszentrum» zunächst von rund 200 russischen Soldaten und Militärpolizisten, die gestern in einem Konvoi von Militärlastwagen und gepanzerten Truppentransportern in Afrin eintrafen. Offizielle Aufgabe der Einheit, deren Aufenthaltsdauer nicht begrenzt wurde, sei neben dem Kampf gegen den dschihadistischen Terror auch die Ausbildung von Kämpfern der kurdischen Volksverteidigungsmilizen (YPG).
Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit: Mit der Verlegung von Truppen nach Afrin stärkt Moskau nicht nur die kurdische Autonomie in dem gleichnamigen Kanton. Gleichzeitig schafft man eine Art Puffer zwischen dem Staatsgebiet der Türkei im Norden und im Westen, einer von der Türkei protegierten «Sicherheitszone» im Osten sowie den von der Assad-Armee und islamistischen Rebellen kontrollierten Gebieten im Süden von Afrin. Die politische Botschaft der Russen ist eindeutig: Wer zukünftig die syrischen Kurden angreift, bekommt es «mit uns zu tun».
Erste Adressatin dieser Warnung ist die Türkei. Sie hatte in den vergangenen Monaten immer wieder versucht, ihre südlich der Grenze geschaffene «Sicherheitszone» auch in den Kanton Afrin, bei dem es sich um einen der vier Kantone der kurdischen Förderation Rojava handelt, auszudehnen. Mit der Stationierung von russischen Truppen sind Staatspräsident Erdogan nun die Hände gebunden.
Zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Wochen wird der türkische Staatspräsident von seinen syrisch-kurdischen Erzfeinden regelrecht vorgeführt: Zunächst hatten sie es geschafft, US-Truppen in die ebenfalls von Ankara beanspruchte kurdisch-arabische Stadt Manbidsch im Gouvernement Aleppo zu holen, um so die türkische Armee in Schach zu halten. Mit der Stationierung der Russen in Afrin konnte nun auch die zweite Supermacht in diesem Konflikt für die politische Agenda der syrischen Kurden instrumentalisiert werden.
Im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) können weder Russland noch die USA auf die gut ausgebildeten YPG-Milizen verzichten. Neu gemischt werden dürften die Karten erst, wenn der IS und Verbände des El-Kaida-Ablegers Nusra-Front besiegt worden sind. Die Chancen dafür sind insofern gestiegen, weil viele der in die Türkei führenden Nachschubwege der Dschihadisten inzwischen von der kurdischen YPG und ihren schlagkräftigen Verbündeten blockiert worden sind.
Michael Wrase, Limassol