Am Tag der Parlamentswahl in den Niederlanden heizt der türkische Präsident Erdogan das Klima nochmals an – als wäre die Wahl nicht schon verrückt genug.
Die Niederlande wählt – und die ganze Welt schaut hin. Bemerkenswert für ein Land mit gerade mal knapp 17 Millionen Einwohner. Der Grund dafür: Im Land der Tulpen wird heute das europäische Superwahljahr eingeläutet. Als «Viertelfinale» im Kampf gegen die «verkehrten Populisten» hat es der rechtsliberale Premierminister Mark Rutte beschrieben und meint damit die rechtsextreme «Freiheitspartei» (PVV) von Islamgegner Geert Wilders. Nach dieser Logik tritt Frankreich im Mai gegen Marine Le Pen zum Halbfinale an und im Herbst kommt es in Deutschland zum Endspiel gegen die «AfD».
Hohe Stimmbeteiligung
Am Mittwochmorgen gegen 11 Uhr zeichnete sich mit 15 Prozent abgegebenen Stimmen von insgesamt 13 Millionen Wahlberechtigten bereits eine hohe Beteiligung ab. Doch wie der Urnengang ausgehen wird, bleibt bis zuletzt ungewiss. Gut vierzig Prozent aller Niederländer wussten gemäss Umfragen selbst zwei Tage vor der Wahl noch nicht, für wen sie einlegen werden. Sie haben es auch nicht einfach: 28 Parteien stehen zur Wahl.
14 Fraktionen werden Chancen eingeräumt, ins Parlament einzuziehen. Politikwissenschaftler verweisen darauf, dass neben Mark Ruttes Regierungspartei VVD und Wilders PVV auch die Linksgrünen vom 30-jährigen Shooting-Star Jesse Klaver, die Christdemokraten CDA oder die Linksliberalen D66 mit zwischen 15 und 20 Prozent aus den Wahlen hervorgehen können.
Regierungsbildung dauert Monate
Mit solch einem Panoptikum an Parteien wird es denn auch schwierig, eine Regierung zu bilden. Mindestens vier Parteien dürften sich zu einer Koalition zusammenfinden müssen. Laut dem niederländischen Wahlforscher Tom Louwerse sind theoretisch bis zu 4095 Kombinationen möglich. In der Realität werden es freilich weniger sein. Trotzdem: Beobachter gehen von Wochen, wenn nicht Monaten aus, bis eine Regierung gefunden sein wird. Fest steht jedoch schon jetzt, dass es mit Geert Wilders kaum etwas werden wird.
Sämtliche Parteien haben ausgeschlossen, mit Wilders zu kooperieren. Dass der markante Blondschopf und offiziell einziges Mitglied in der Freiheitspartei so viele Stimmen machen wird, dass er nicht mehr zu ignorieren sein wird, ist aber ohnehin unwahrscheinlich. In den vergangenen Wochen hat Wilders in Umfragen empfindlich eingebüsst. Viele führen dies auf den «Trump-Effekt» zurück. Die chaotische Amtsführung des amerikanischen Präsidenten habe dafür gesorgt, dass Wilders, der sich politisch eng an Trump anlehnte, von einst beinahe 20 Prozent auf nunmehr unter 15 Prozent eingebrochen ist. Bemerkt sei hier aber: Wenn die Wahl Trumps eines gelehrt hat, dann, dass Umfragen mit Vorsicht zu geniessen sind.
Gute Position dank Erdogan
Seine Position gefestigt hat dagegen Premier Mark Rutte. Das darf er zu einem guten Teil auch dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verdanken. Nachdem die Niederlande vergangenes Wochenende die Einreise türkischer Politiker für Wahlkampfauftritte verboten und sich Erdogan in der Folge zu verschiedenen Nazi-Vergleichen hinreissen liess, haben sich viele Holländer hinter der Regierung versammelt. 86 Prozent finden es gut, dass Rutte Stärke bewiesen und dem türkischen Staatschef Paroli geboten hat. Und Erdogan liess es sich am heutigen Abstimmungstag nicht nehmen, den vielen niederländischen Wechselwähler nochmals einen Grund zu geben, für Rutte zu stimmen. In einer Wahlkampfrede behauptete Erdogan, die Niederlande sei für das Massaker an 8000 bosnischen Muslimen in Sebrenica während des Balkankrieges 1995 verantwortlich. Tatsächlich haben die niederländischen UNO-Blauhelme den bosnisch-serbischen Truppen von General Ratko Mladic die Stadt kampflos überlassen. Eine Mitschuld am folgenden, schlimmstes Massaker auf europäischem Boden seit dem zweiten Weltkrieg, wurde ihnen aber von einem niederländischen Gericht 2014 in Abrede gestellt. Mark Rutte reagierte auf ähnliche Äusserungen Erdogans bereits am Dienstag, sie seien eine «abscheuliche Verfälschung der Geschichte».
Bis die ersten tragfähigen Resultate der Wahl vorliegen, wird es bis spät in die Nacht dauern. Das liegt nicht nur daran, dass die letzten Wahllokale um 21 Uhr schliessen. Sondern auch, weil wegen Angst von Hackerangriffen sämtliche Stimmen von Hand gezählt werden. Neben der mutmasslichen russischen Intervention in die amerikanische Präsidentenwahl haben sich die holländischen Behörden dazu entschieden, nachdem der niederländische Experte für Cyber-Sicherheit Sijmen Ruwhof in einem Blog-Eintrag gravierende Mängel in der Auswertungssoftware publik gemacht hat.