STAATSBESUCH: Merkels Reise ins Ungewisse

Sie hat all seine Interviews gelesen und analysiert, doch mit wem sie es zu tun bekommt, weiss Angela Merkel noch immer nicht wirklich: Die Kanzlerin versucht Donald Trump diese Woche von der Bedeutung der EU zu überzeugen.

Christoph Reichmuth, Berlin
Drucken

Christoph Reichmuth, Berlin

Zwölf Jahre ist Angela Merkel nun schon im Amt, sie ist eine der erfahrensten Politikerinnen weltweit. Auf diese Reise aber hat sie sich vorbereitet wie auf keine ­zuvor. Die Kanzlerin studierte alte und neuere Interviews, die US-Präsident ­Donald Trump in den letzten Wochen, gar Jahren gegeben hat, sogar ein mehrseitiges Gespräch aus dem Jahre 1990, das im «Playboy» erschienen war, soll sie analysiert haben. Merkels Politik ist geprägt durch ihre abwägende, nüchterne Art, durch ihre Detailversessenheit. Diese Taktik hat sie zur mächtigsten Frau der Welt werden lassen, mit dieser ­Wesensart hat sie sämtlichen, noch so schwierigen, Gesprächspartnern Paroli geboten. Mit dieser Taktik will sie sich auch an Donald Trump heranwagen. ­Daher will sie möglichst genau wissen, mit wem sie es zu tun bekommt.

Doch wenn Merkel am Freitag auf Donald Trump trifft, ist die Kanzlerin, so behaupten Insider aus Regierungskreisen, so nervös wie sonst kaum. Sie ist schlicht im Ungewissen darüber, was sie in Washington erwarten wird. Donald Trump ist die Verkörperung des Anti-Merkel-Typus: unberechenbar, provokativ, selbstverliebt. Merkel redet erst, wenn sie einen Sachverhalt mehrfach überprüft hat. Die 62-Jährige betont die Einheit und Bedeutung Europas, die transatlantische Partnerschaft. Trump propagiert das «America first», hält nichts von multilateralen Geschäften, hat widersprüchliche Ansichten zur EU, hält die Nato mal für «obsolet», ein ­anderes Mal ist er geradezu ein «Fan» des Verteidigungsbündnisses.

An Gesprächsthemen mangelt es nicht

Themen, die die beiden besprechen könnten, gibt es genug. So etwa den Umgang mit Russland in der Ukraine-Krise. Trumps Ansichten zu Putin sind schleierhaft. Einmal zeigte er sich interessiert an «Deals» mit Russland, nun hiess es aus Washington, Trump wolle von Merkel lernen, «wie man mit Putin umgehen soll». Offene Fragen gibt es zum Syrien-Konflikt, zur Flüchtlingsfrage, zum Iran-Abkommen oder zum Klimaschutz. Besorgt reagierte Merkel auf Äusserungen Trumps zur EU. Den Brexit pries Trump vor wenigen Wochen als «fantastisch». Unbehagen löste in Berlin Trumps Drohung für Importzölle für die deutsche Autoindustrie aus. Trump ist der enorme deutsche Handelsüberschuss ein Dorn im Auge. Die USA unterstellen Deutschland, den Kurs des Euro gezielt zu drücken, um den eigenen Export in die USA anzukurbeln (siehe Text unten).

Merkel wird auf ihrer Reise daher von den Firmenbossen von Siemens und BMW begleitet. Die Wirtschaftsvertreter sollen dem Republikaner deutlich machen, dass deutsche Firmen in den USA für Tausende von Arbeitsplätzen sorgen und Investitionen von mehr als 270 Milliarden Dollar tätigen. Merkel will Trump damit von seinen protektionistischen Plänen und einem Handelskrieg abbringen. Um die Wogen zu ­glätten, ist Merkel bereit, auf Trumps Forderungen einzugehen. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im ­Februar versprach die Kanzlerin, dass Deutschland mehr Geld für die Nato und die Verteidigung auszugeben bereit sei. «Wir werden mehr tun für die Verteidigungspolitik», sagte Merkel.

Nach Ansicht von Thomas Jäger, US-Experte an der Universität Köln, ist die Reise nach Washington am Freitag für Merkel von grosser Bedeutung. Einerseits gehe es darum, zur Administration Trump Kontakte zu knüpfen. «Zweitens muss Merkel Trump die Bedeutung von Europa und der Europäischen Union für die Stabilität der Welt, der Nato und auch für den Kampf gegen den Terrorismus deutlich machen. Sie wird das tun, wie sie es stets tut: Sie untermauert ihre Aussagen mit Fakten, Fakten und nochmals mit Fakten.»

Ebene finden mit Erdogan und Trump

Für Merkel ist die Begegnung mit Trump auch aus innenpolitischer Sicht heikel: Der US-Präsident ist in der deutschen Bevölkerung etwa gleich unbeliebt wie der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdogan. Viele Deutsche erwarten von der Kanzlerin, dass sie gegenüber diesen beiden Politikern eine klare Haltung zeigt. Anders als ihr Herausforderer Martin Schulz von der SPD, der die beiden Machthaber schon scharf kritisiert hatte, muss Merkel trotz Wahlkampf eher deeskalierend auf Trump und Erdogan einwirken. «Sie muss sowohl mit Trump als auch mit Erdogan eine Ebene finden, auf der sich gemeinsam arbeiten lässt. Das ist für eine Wahlkämpferin eine undankbare Ausgangslage», sagt Thomas Jäger. Merkel muss Trump also die Hand reichen, ohne als Bittstellerin daherzukommen.

Immerhin waren aus Washington im Vorfeld von Merkels Besuch versöhnliche Töne zu vernehmen. Trump lobte die Führungsstärke Merkels und liess ausrichten, dass er eine «sehr positive, herzliche Begegnung» mit Merkel erwarte. Auch US-Experte Jäger glaubt, dass Trump und Merkel trotz unterschiedlicher Persönlichkeiten eine Gesprächsbasis finden werden. «Die beiden werden ein professionell-sympathisches Verhältnis hinbekommen. Wobei Merkel den Abstand zu Trump stärker zu betonen versuchen wird als umgekehrt.»