Datenschützer und Politiker empören sich über die Deutsche Bahn AG. Der Konzern liess 173 000 Beschäftigte ausspionieren. Bahnchef Mehdorn ist aber nicht nur deswegen unter Druck.
berlin. Hartmut Mehdorn, der Chef der Deutschen Bahn AG, hat den Ruf, über ungewöhnlich grosses Durchstehvermögen zu verfügen. Vergangenes Jahr trug er mit Manfred Schell, dem Chef der Lokführergewerkschaft GDL den längsten und härtesten Tarifkonflikt in der Geschichte der Deutschen Bahn aus – und verlor den Kampf. Empfindlicher noch traf Mehdorn der vorerst geplatzte Traum, die Bahn an die Börse zu bringen: Die Wirtschaftskrise bremste den Manager aus.
Aber auch defekte Züge brachten die Deutsche Bahn AG 2008 in die Negativschlagzeilen. Risse in den Achsen der ICE-T-Neigezüge könnten Mehdorn dazu zwingen, die Radwellen dieser Züge komplett auszuwechseln, was für Bahnreisende während Jahren zu Beeinträchtigungen führen würde. Wer die Kosten für den kolossalen Aufwand tragen müsste, ist unklar. Mehdorn macht die Hersteller für die technischen Fehler verantwortlich. Das Konsortium von Siemens, Alstom und Bombardier weist den Vorwurf zurück.
Und nun kommt es für den Bahnchef noch dicker: Gestern bestreikten die beiden Bahngewerkschaften Transnet und GDBA schwerpunktmässig München, Nürnberg, Köln, Düsseldorf, Bremen, Hamburg, Berlin und andere Städte. Es handelte sich um Warnstreiks, die gestern vor allem in Süddeutschland zu Zugverspätungen und Ausfällen führten.
Ein neuer Tarifkonflikt baut sich auf, weil die Gewerkschaften für ihre 130 000 Mitglieder zehn Prozent mehr Gehalt und besser planbare Arbeitszeiten fordern – die Deutsch Bahn AG bislang aber nur ein Prozent mehr Lohn angeboten hat, plus Einmalzahlungen.
Doch, so konfliktträchtig dieser neue Tarifkonflikt auch ist: Hartmut Mehdorn muss sein Stehvermögen in den nächsten Wochen prioritär in einer Spitzelaffäre beweisen, die das Image des Konzerns arg beschädigen könnte.
Die Deutsche Bahn AG hat nämlich im Kampf gegen die Korruption 173 000 Mitarbeiter ausspioniert. Zwei Drittel der Belegschaft wurden unter Generalverdacht gestellt und von der Firma Network – eine Detektei – bespitzelt. Dabei wurden Wohnadressen, Telefonnummern und Bankverbindungen der Bahnmitarbeiter mit den Dateien von 80 000 Firmen verglichen, mit denen die Deutsche Bahn geschäftet.
Nicht nur die Datenschützer sind empört. Politiker aller Parteien sprachen am Mittwoch von einer beispiellosen und unfassbaren Aktion, die restlos aufgeklärt werden müsse und nötigenfalls auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen werde.
Die Deutsche Bahn AG muss sich nächste Woche vor parlamentarischen Gremien rechtfertigen und dabei wohl mehr eingestehen als bisher. Denn bis jetzt bestreitet die Bahn, dass es überhaupt eine Affäre gibt. Man habe, sagte ein Sprecher, lediglich Ernst gemacht mit dem «geforderten» Kampf gegen die Korruption und dabei auf Rat einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein «völlig legales Screening» durchgeführt.