Morgen stimmen die Bürger zwischen Danzig und Krakau über ihre Bürgermeister ab. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS möchte ihre Macht bei den Gemeindewahlen ausbauen, für die Opposition ist es eine Chance, sich zu behaupten.
Unübersehbar dominiert der Kulturpalast das Stadtzentrum Warschaus. 237 Meter ragt der sozialistische Prestigebau in den Himmel. Doch zu seiner Ostseite hin: Betonwüste. Ein riesiger, weitgehend leerer Platz, auf dem vereinzelt Parkflächen eingerichtet wurden. Für viele Warschauer ist das seit Jahren ein Ärgernis. Was könnte hier nicht alles entstehen? Ein Park, Hochhäuser oder ein verdichtetes Viertel mit Altstadtfassaden. Ideen sind da, aber niemand packt es an.
Auf dem Platz steht Patryk Jaki, Kandidat der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) für das Amt des Stadtpräsidenten von Warschau. Es ist noch genau eine Woche hin bis zum Wahltag. Hinter ihm sind Schaubilder zu sehen, die den Kulturpalast umrahmt von einem grünen Gürtel und einigen modernen Gebäuden zeigen. «Das werden wir umsetzen», sagt Jaki selbstbewusst. Der gerade mal 33-Jährige mit den grossen Wangen und dem freundlichen Lächeln spricht gerne davon, zu bauen. Vor allem Brücken und Metrolinien hat er im Programm. Lange sah es so aus, als könnte Jaki Warschau für die PiS gewinnen. Keine Selbstverständlichkeit, denn die Regierungspartei des mächtigen Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski hat es traditionell schwer in den grossen Städten des Landes.
Morgen finden in Polen Kommunalwahlen statt, wörtlich übersetzt: Wahlen zur Selbstverwaltung. Landauf, landab werden Stadträte, Bürgermeister, Stadtpräsidenten und die 16 Regionalparlamente, die Sejmiki, gewählt. Die PiS ist hier keineswegs die Chefin im Laden. Bei den vergangenen Kommunalwahlen 2014 konnte sie lediglich in einem Regionalparlament, in der Woiwodschaft Karpatenvorland im äussersten Südosten die absolute Mehrheit der Sitze gewinnen, in vier weiteren die relative.
In Grossstädten wie Breslau, Posen oder Danzig regieren progressive Stadtpräsidenten und sogar in der mittelgrossen Stadt Slupsk im Nordwesten sitzt mit dem bekannten, offen schwulen Robert Biedron ein Kritiker der Nationalkonservativen im Rathaus. Für die PiS wie auch die Opposition steht viel auf dem Spiel. Die Regierungspartei möchte ihre Macht ausbauen und sich widerspenstiger Regionalfürsten entledigen; die Opposition, in erster Linie die liberalkonservative PO (Bürgerplattform), muss zeigen, dass sie Kommunen halten kann und dass überhaupt noch mit ihr zu rechnen ist. Das Ganze ist auch ein Lackmustest mit Blick auf die Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Die Ausgangslage für die PO in den Gemeinden ist insgesamt gut, Warschau ist und bleibt die am härtesten umkämpfte Grossstadt.
Rafal Trzaskowski eilt von Termin zu Termin. Wirkte er in seiner Kampagne vor einigen Wochen noch arrogant und selbstgewiss, ist er auf den letzten Metern zu Form aufgelaufen und gibt sich bei öffentlichen Auftritten volksnah. Das spiegelt sich in den neusten Umfragen wider. 42 Prozent der Befragten würden dem Kandidaten der gemeinsamen Liste der PO und der Partei Nowoczesna (Moderne) für das Amt des Warschauer Stadtpräsidenten ihre Stimme geben, Patryk Jaki bekäme bloss 31.
Doch gerade viele Junge nehmen Trzaskowski die gespielte Volksnähe nicht ab. Für sie sei er, so heisst es, das «kleinere Übel». Dem 46-jährigen ehemaligen Staatssekretär, der auch in Oxford studiert hat, hängt hartnäckig der Ruf des Elitären an. Ganz anders Patryk Jaki. Zwar ist er derzeit stellvertretender Justizminister und schon lange in der Politik aktiv, er hat es aber trotzdem geschafft, sich nahbar als «der Typ von nebenan» zu inszenieren. Was ihm dafür wiederum kaum jemand abkauft, ist sein Versuch, sich weltoffener zu geben. 2014 noch sagte er als Abgeordneter, in Warschau sei kein Platz für Homosexuelle. Heute spricht er von «einem Warschau für alle Menschen». Unvergessen ist überdies, dass er in seiner Heimatstadt Opole im Süden Polens in der nationalistischen Fussballfanszene aktiv war, bevor er in die PiS eintrat. Doch Warschauer wählen in der Regel progressive Kandidaten.
Jaki führe, so PO-Kandidat Trzaskowski gegenüber unserer Zeitung, die Warschauer an der Nase herum. «Heute etwa sagt er, er sei für Impfungen. Noch vor einem Jahr aber war er ein Gegner der Impfpflicht.» Zuletzt sammelten Impfgegner 120000 Stimmen, womit die Frage, ob Impfungen für Kinder verpflichtend sein sollen, im polnischen Parlament debattiert werden musste.
In Warschau wird es den aktuellen Zahlen nach – wie in vielen anderen polnischen Städten auch – zu einer Stichwahl kommen. Kein Kandidat wird morgen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Neben Jaki und Trzaskowski treten in Warschau zwölf weitere Kandidaten an. Der Drittplatzierte allerdings, der linke Politiker und Stadtaktivist Jan Spiewak, kann höchstens mit fünf Prozent rechnen.
Am 4. November kommt es dann zur Stichwahl der beiden Bestplatzierten. Die Frage ist, wie diejenigen, die sich einem dritten politischen Lager zurechnen, dann wählen werden. Denn unter polnischen Linken ist die PO teils so verhasst wie die PiS. Auch wenn Trzaskowski im Augenblick um acht Prozent vorne liegt, ist ihm das Amt des Stadtpräsidenten also noch nicht sicher. Die PiS wird alles daran setzen, Stimmen in den Städten zu gewinnen. Für die Opposition ist es eine Schicksalswahl. Die kommunale Ebene ist das letzte Feld in Polen, auf dem sie in Führung liegt.