rom. Was vor rund zwei Wochen mit kleinen Protestaktionen begonnen hat, wird in Italien immer mehr zum Flächenbrand.
rom. Was vor rund zwei Wochen mit kleinen Protestaktionen begonnen hat, wird in Italien immer mehr zum Flächenbrand. Diese Woche haben in Rom, Mailand, Bologna und vielen anderen Städten Schüler, Lehrer, Eltern und Gewerkschaften mit Schulbesetzungen, Protestunterricht auf öffentlichen Plätzen und Kundgebungen gegen die von Bildungsministerin Mariastella Gelmini ausgearbeitete Schulreform protestiert. Gestern war der Schulbetrieb vielerorts wegen eines von den Basisgewerkschaften ausgerufenen Streiks eingestellt. Für den 30. Oktober haben die drei grossen Gewerkschaftsverbände einen Generalstreik angekündigt.
Die Schulreform sieht unter anderem die Streichung von 87 000 von insgesamt 750 000 Lehrerstellen an den Grund- und Mittelschulen sowie von 44 000 Stellen in der Schulverwaltung innerhalb der nächsten drei Jahre vor. Geplant ist die Wiedereinführung des alleinigen Klassenlehrers anstelle des heutigen Lehrerteams. Im weiteren sollen rund 4200 Schulen, die weniger als 50 Schüler zählen, geschlossen werden. Zur Eindämmung von Gewalt und Mobbing soll ausserdem die Betragen-Note wieder eingeführt werden, die promotionswirksam sein wird: Wer sich schlecht benimmt, der bleibt sitzen.
Insgesamt verspricht sich die Regierung Berlusconi von der Reform Einsparungen von acht Milliarden Euro. Die Vorlage ist bereits per Vertrauensabstimmung durch das Abgeordnetenhaus gebracht worden und muss noch vom Senat verabschiedet werden.
Das Paket wird von den Kritikern im besseren Fall als kurzsichtige Sparübung verurteilt, im schlechteren Fall als «Konterreform» abqualifiziert, die das Schulwesen Italiens auf direktem Weg zurück in die 1950er-Jahre katapultiere. Zumindest unter Experten ist indes kaum bestritten, dass das italienische Schulwesen grundsätzlich reformbedürftig und der Lehrerbestand zu hoch ist: Italienische Lehrkräfte unterrichten laut einer vor kurzem veröffentlichten OECD-Studie nur 10,7 Schüler, gegenüber einem OECD-Durchschnitt von rund 16.
Heftig umstritten ist ein Vorschlag der Lega Nord, die für ausländische Kinder, die kaum oder gar kein Italienisch sprechen, separate «Eingliederungsklassen» einführen will. Dort sollen die Kinder nicht nur die Landessprache lernen, sondern auch mit den Sitten und Gebräuchen in Italien vertraut gemacht werden; danach erst sollen sie in die normalen Klassen mit den italienischen Kindern eingeschult werden.
Die Lega Nord spricht von «positiver Diskriminierung» und beteuert, dass diese Sonderklassen die Integration erleichtern sollen. Oppositionsführer Walter Veltroni dagegen sprach von einem «unglaublichen und nicht tolerierbaren» Vorhaben, das einzig der Ghettoisierung Vorschub leiste.
Der Vorstoss der Lega Nord ist im Parlament zwar überwiesen worden, doch ob er je Gesetz wird, ist fraglich. Denn Kritik kommt nicht nur von der Opposition, sondern auch vom Vatikan und sogar von Exponenten aus Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition selber. Das Parteiblatt der Alleanza Nazionale beispielsweise forderte die Lega Nord am Donnerstag auf der Titelseite auf, sie solle ihre «Apartheid-Pläne vergessen».