Zwei Feststellungen: Michail Chodorkowski ist frei. Das ist ihm und wäre jedem Gefangenen, der jahrelang in einem russischen Straflager lebt, zu gönnen. Und: «Forbes» hat Wladimir Putin zum mächtigsten Mann der Welt gewählt.
Zwei Feststellungen: Michail Chodorkowski ist frei. Das ist ihm und wäre jedem Gefangenen, der jahrelang in einem russischen Straflager lebt, zu gönnen. Und: «Forbes» hat Wladimir Putin zum mächtigsten Mann der Welt gewählt. Damit dürfte das US-Magazin recht haben – zumindest was die Effizienz Putins betrifft. Der Kremlherr hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich: im Beharren auf die Unterstützung des syrischen Diktators Assad und mit dem russischen Beitrag zur Rückkehr der Diplomatie gegenüber Iran und seinem Atomprogramm; im Machtkampf in der Ukraine und in der Causa Chodorkowski.
Tatsache ist: Putin hat Chodorkowski keine Gnade erwiesen, sondern sich seiner entledigt. Die Freilassung ist zu Bedingungen erfolgt, die Putin seit Jahren genannt hat: Ein Gnadengesuch und damit, zumindest in Moskauer Lesart, ein Schuldeingeständnis. Die Gewährung der Gnade aber war in der alleinigen Entscheidung Putins.
Bleibt die Frage, weshalb sich der Kremlherr überhaupt auf Verhandlungen mit dem ehemaligen deutschen Aussenminister Hans-Dietrich Genscher eingelassen hat? Denn zu verhandeln gab es nichts. Doch öffentliche Darstellung, Zeitpunkt und Art und Weise des Gnadenaktes ist in eine politische PR-Kampagne eingebettet, mit der der russische Präsident die Welt seit Tagen überzogen hat: von seiner Rede an die Nation (Wir wollen niemanden dominieren), über die Amnestie bis hin zum «humanitären» Akt für die Familie Chodorkowski (wird sind zwar konservativen Werten verpflichtet, aber keine Unmenschen).
Hintergrund für all das ist auch die wachsende Absenzenliste westlicher Staatsgäste für die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Wer über 40 Milliarden Euro für eine Leistungsschau seiner Macht ausgibt, will auch Publikum haben. Als Eingeständnis gegenüber internationaler Kritik ist dies nicht zu werten – auch nicht die Amnestie für Pussy Riot und Greenpeace.
Was aber hat Chodorkowski bewogen, seinen Widerstand gegen Putins Gnade aufzugeben, wo er doch seine Strafe in wenigen Monaten abgesessen hätte? Die Alternative war ein neuer Prozess und die Tatsache, dass ihm die Freiheit wohl auf Lebzeiten – oder zumindest bis zum Ende der Putin-Herrschaft – genommen worden wäre. Dem Menschen Chodorkowski ist da kein Vorwurf zu machen. Zur politischen Lichtgestalt hat ihn vor allem der Westen gemacht. Ähnlich wie die Oppositionelle Julia Timoschenko oder neuerdings Vitali Klitschko in der Ukraine hatte Chodorkowski im eigenen Land nie die Rolle inne, die ihm im Westen angedichtet wurde – auch das hat sich Putin zunutze gemacht.
walter.brehm@tagblatt.ch