Premier Shinzo Abe strebt in Japan nach absoluter Macht

TOKIO. Es gibt Rabatt auf Glace aus grünem Tee und jede Menge hippe Slogans für Erstwähler. Mit gutem Grund. Wenn Japan am Sonntag sein Oberhaus neu bestellt, dürfen erstmals 18- und 19-Jährige mittun. Bisher galt das offizielle Erwachsenenalter, das in Japan bei 20 liegt.

Angela Köhler
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TOKIO. Es gibt Rabatt auf Glace aus grünem Tee und jede Menge hippe Slogans für Erstwähler. Mit gutem Grund. Wenn Japan am Sonntag sein Oberhaus neu bestellt, dürfen erstmals 18- und 19-Jährige mittun. Bisher galt das offizielle Erwachsenenalter, das in Japan bei 20 liegt. Nun sind 2,4 Millionen zusätzliche Bürgerinnen und Bürger zur Wahl aufgerufen, immerhin zwei Prozent der gesamten potenziellen Wählerschaft.

Premier Shinzo Abe verspricht sich davon einen «Jugendschub» und trommelt eifrig «junge Nationalisten» an die Urne. Der Regierungs- und Parteichef der Liberal-Demokraten (LDP) kämpft verbissen um den Wahlsieg, obwohl er in einer komfortablen Position ist. Seit der Nationalkonservative 2012 an der Spitze steht, gewann die LDP drei Wahlen in Folge.

Ende der Friedensverfassung?

Dennoch sind Abe und seine Gefolgsleute nervös in dieses Rennen gegangen. Alle strittigen Themen wie die radikale Verfassungsänderung, die Erhöhung der Konsumsteuer oder der Ausbau der Atomkraft wurden ausgeblendet. Diese Taktik bringt vielleicht Stimmen, aber auch Kritik. Politwissenschafter Koji Nakakita beklagt: «Es ist alarmierend, dass Politiker ihre Überzeugungen und Notwendigkeiten für den Gewinn von Wahlen verkaufen.»

Das Wahlziel ist klar. Abe will nicht nur die Zwei-Drittel-Mehrheit seiner LDP und des Juniorpartners Komeito behaupten. Der 62-Jährige strebt ein Monopol an, um sein grosses Ziel, ein Referendum über die angestrebte Verfassungsänderung mit weitreichenden militärischen Freiheiten durchsetzen zu können. Dafür wäre eine absolute Mehrheit ohne die pazifistisch und religiös orientierte Komeito hilfreich. Der Regierungschef, der vorerst bis September 2018 im Amt bleibt, kann nun zum Alleinherrscher nach dem Vorbild der Shogune aufsteigen.

Für viele Bürger ist die Wahl aber vor allem ein Verdikt über mehr als drei Jahre «Abenomics», die Wirtschaftspolitik Abes. Dem Land geht es zwar nicht schlecht – die Arbeitslosenquote steht auf 3,2 Prozent, die Zahl der Stellenangebote ist auf dem höchsten Stand seit über 25 Jahren. Doch die hohen Erwartungen wurden enttäuscht. Der «Mann auf der Strasse» spürt keine Verbesserung seines Lebensstandards.

Nun droht wegen des Brexits auch noch Gefahr von aussen. Auch wenn Europa das kaum zur Kenntnis nimmt – Japan ist davon stark betroffen. Mehr als 1300 Konzerne unterhalten Fertigungsstrecken in Grossbritannien und exportieren von dort nach Europa. Toyota verkauft 90 Prozent seiner in Grossbritannien gebauten Autos in benachbarte Länder. Gleichzeitig flüchten ausländische Grossinvestoren in die japanische Währung, die damit teuer wird. Eines der wichtigsten Instrumente für die «Abenomics» aber ist ein schwacher Yen, der Wachstum und Inflation fördern soll.

Diskreditierte Regierungspartei

Zudem machen Skandale schlechte Stimmung im Regierungslager. Im Juni wurde der Gouverneur von Tokio, Yoichi Masuzoe, praktisch aus dem Amt gejagt. Der von der LDP unterstützte Oberbürgermeister hatte im grossen Stil Steuergelder und politische Spenden für seinen luxuriösen Lebenswandel abgezweigt. Anfang Jahr wurde bereits der Chefarchitekt der Wirtschaftspolitik, Minister Akira Amari, gefeuert, weil er Bestechungsgelder kassiert hatte.

Das Volk ist empört über die Arroganz der LDP-Elite, doch fehlt eine echte Alternative. Die Demokratische Partei hat in ihrem Regierungsintermezzo von 2009 bis 2012 komplett versagt. Sie nimmt nun immerhin an einem interessanten Experiment teil. Die vier Gruppierungen der Opposition einschliesslich der Kommunisten treten in den Wahlkreisen nicht gegeneinander an, sondern haben gemeinsame Kandidaten aufgestellt.