POLEN: Warschau besteht auf seinem Recht

Heute tritt das sogenannte Holocaust-Gesetz in Kraft. Wie die international umstrittene Strafandrohung auch ausserhalb Polens geltend gemacht werden soll, ist ebenso unklar wie weite Stellen des neuen Gesetzestextes.

Paul Flückiger, Warschau
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Besucher passieren am internationalen Holocaust-Gedenktag den Eingang zum deutschen Konzentrationslager Auschwitz im polnischen Oswiecim. (Bild: Czarek Sokolowksi/AP (27. Januar 2018))

Besucher passieren am internationalen Holocaust-Gedenktag den Eingang zum deutschen Konzentrationslager Auschwitz im polnischen Oswiecim. (Bild: Czarek Sokolowksi/AP (27. Januar 2018))

Paul Flückiger, Warschau

Ab heute muss jeder mit drei Jahren Gefängnis rechnen, der Polen die Mitverantwortung für Nazi-Verbrechen zuschreibt oder die historisch falsche Bezeichnung «polnische Lager» für deutsche KZ benutzt. Wie die international höchst umstrittene Strafandrohung auch ausserhalb Polens ­geltend gemacht werden soll, ist ebenso unklar wie weite Stellen des neuen Gesetzestextes. Doch Warschau besteht auf seinem Recht, völlig souverän jedes ­Gesetz beschliessen zu können, welches der rechtspopulistischen Regierungsmannschaft rund um Jaroslaw Kaczynski gefällt.

So tritt das Gesetz in Kraft, bevor das Verfassungsgericht es geprüft hat. Dorthin hatte es Staatspräsident Andrzej Duda nämlich überwiesen, nachdem die Verabschiedung im Sejm, der grossen Parlamentskammer, Ende Januar zu einem ernsthaften diplomatischen Zerwürfnis mit Israel und den USA geführt hatte. «Erst nach der Analyse des Verfassungsgerichts gibt es wieder ein Verhandlungsfeld», beschwichtigte gestern ein Sprecher des Staatspräsidenten. Wann mit dem Urteil des von der Regierungspartei PiS völlig vereinnahmten Gremiums gerechnet werden kann, ist unklar.

Hoffnung auf einen Ausweg aus der Krise

Während sich Warschau osten­tativ jegliche Einmischung von aussen verbittet, sorgt der Justizminister für weitere Verwirrung. Zbigniew Ziobro schien Ende vergangener Woche zugesichert zu haben, das Gesetz gelte für Ho­locaust-Überlebende nicht. «Es gibt keine Strafe für Zeitzeugen, Historiker oder Journalisten, die schmerzhafte Fakten aus unserer Geschichte zitieren», versprach der Justizminister. In dem von seinem Ministerium ausgearbeiteten, reichlich unklar formulierten Gesetz steht allerdings das genaue Gegenteil. Nichtsdestotrotz sprach Israels Vizeaussenminister Yuval Rotem von einem Meilenstein, der einen möglichen ­Ausweg aus der Krise markieren könnte. Polnische Rechtsexperten verweisen auf die Möglichkeit, das Gesetz durch nachträgliche Ausführungsbestimmungen noch etwas zu entschärfen.

Derweil geht der Sturm der Entrüstung in Israel und Polen weiter. Dabei werden die Schattenseiten der von der PiS gerne als besonders heldenhaft dar­gestellten Opfergeschichte der Polen im Zweiten Weltkrieg hervorgezogen. Laut dem polnischen Historiker Jan Grabowski wurden zwei von drei Juden, die sich aus den Ghettos im Generalgouvernement retten konnten, von Polen an die Deutschen verraten. Eine entsprechende zweibändige Sammelstudie soll diesen Frühling vom Warschauer «Zentrum für Holocaust-Forschung» (CBnZZ) veröffentlicht werden. Dabei muss betont werden, dass wer im Generalgouvernement Juden Unterschlupf ­gewährte, ab Herbst 1941 nicht nur das eigene Leben, sondern auch jenes seiner ganzen Familie ­riskierte. In andern deutschen Besatzungsgebieten Polens galt diese Sippenhaft nicht.

Die Kaczynski-Anhänger treten dabei in immer neue Fettnäpfchen. Erst gestern wurde bekannt, dass eine Vortragsreihe mit antisemitischen Untertönen der umstrittenen rechten Historikerin Ewa Kurek staatlich bezuschusst wurde. Zuvor hatte ausgerechnet der als konziliant geltende Regierungschef Mateusz Morawiecki am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz den Juden eine Mittäterschaft beim Holocaust zugeschrieben.

Die Wogen zu glätten versucht nun eine Regierungsdelegation, die gestern nach Tel Aviv gereist ist. Verhandeln will sie ­indes in der neu geschaffenen polnisch-israelischen Krisen-AG nicht. «Wir stimmen in Israel ­keine Gesetzestexte ab, sondern ­erklären die Kontroverse und ­suchen einen Dialog, der auf der Wahrheit basiert», sagt Marek Suski (PiS). Unklar bleibt, ob der Kanzleichef des Premiers damit eine Offenheit für die Wahrheit der jüdischen Weltkriegsopfer ein- oder ausschliesst.