Mit dem gestrigen Schulstart tritt die umstrittene Bildungsreform der national-konservativen Regierungspartei PiS in Kraft. Neben einer Rückkehr zum sozialistischen Stufenmodell gibt es vor allem Änderungen im Geschichtsunterricht.
Paul Flückiger, Warschau
Mit einem grossen «Stoppt die Schulreform!»-Transparent marschierten Hunderte von Lehrern und Eltern vor das Bildungsministerium. Sie führen einen verlorenen Kampf gegen das Wahlversprechen der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wonach Polens Schule patriotisch erneuert werden müsse. Denn die Würfel sind bereits gefallen: Tausende Kinder in Polen haben das Schuljahr gestern entsprechend dem neuem Unterrichtsprogramm begonnen. Vielerorts fehlten allerdings die Schulbücher, denn die Bildungsreform war von der Regierung innerhalb weniger Monate übers Knie gebrochen worden.
Das Chaos des ersten Schultages tat der Freude der nationalkonservativen Regierung indes keinen Abbruch. «Heute fällt der Startschuss für die gute Schule», sagte Beata Szydlo und versuchte ein Lächeln. Polens Premierministerin hat schwere Zeiten hinter sich. Monatelang hatten Eltern und Lehrer gegen die PiS-Schulreform demonstriert. Fast eine Million Unterschriften wurde für ein Referendum darüber gesammelt. Doch die Kaczynski-Partei schmetterte das Volksbegehren im Parlament ab. Die nationalkonservative Erneuerung des Bildungswesens ist ein Grundpfeiler des Regierungsprogramms.
Während Kritiker fürchten, dass damit die Uhren auch im Bildungswesen zurückgestellt werden, versprach Szydlo gestern eine Modernisierung. «Die neue Schule wird modern sein, aber aus unserer Tradition schöpfen», sagte sie und sprach von Chancengleichheit und individueller Förderung. Den verunsicherten Lehrern gab sie als Zückerchen eine Gehaltserhöhung von 5 Prozent pro Jahr von 2018 bis 2020.
Der Kern der PiS-Schulreform beruht auf der Abschaffung der Gymnasien, einer mittleren Oberstufe für 12- bis 15-Jährige. Fast 7500 Gymnasien wurden so zurück in die Grundschulen überführt. Die Kaczynski-Regierung kehrt damit zum Modell der sozialistischen Volksrepublik Polen zurück. Dieses kannte nur ein zweistufiges Modell von Grundschule (Klasse 1–8) und Lyzeum, eine Art höhere Oberstufe. Die Gymnasien waren 1999 eingeführt worden, um den Bildungsabstand der polnischen Kinder zur EU zu verkleinern und die Chancen zwischen Stadtkindern und Landkindern anzugleichen.
Dank der Reform wurde die PiS auf einen Schlag Tausende Schuldirektoren los. In den erweiterten Grundschulen konnte sie neue Direktoren nach eigenem Gutdünken besetzen, eine beliebte Form, die eigenen Parteigänger für ihre Loyalität zu belohnen und sie auch für die Zukunft gefügig zu machen. Insgesamt verlieren laut der regierungskritischen Lehrergewerkschaft ZNP über 9000 Lehrer ihre Arbeitsstelle.
Neben Personalentscheidungen geht es der PiS vor allem um die ideologische Umgestaltung der Schulbildung. Nach dem neuen Lehrprogramm werden dieses Jahr allerdings erst die Erst-, Viert- und Siebtklässler unterrichtet. Für die übrigen Jahrgänge stehen noch keine neuen Lehrbücher bereit. Umstritten sind vor allem die neue «gute» Geschichte und Biologie.
Der Geschichtsunterricht beginnt wie bisher in der vierten Klasse, doch wurden alltags- und zivilisationsgeschichtliche Aspekte aus den Geschichtsbüchern gestrichen. Dafür sollen vor allem Militärgeschichte und die Ahnengalerie der polnischen Helden gepaukt werden. Der Geschichtsunterricht der Viertklässler beginnt nicht mehr bei den Griechen und Römern, sondern mit Mieszko I., dem ersten polnischen König im 10. Jahrhundert. Weltgeschichtliche Bezüge fehlen, alles dreht sich um Polen. Viel wichtiger als Polens EU-Beitritt sind die antikommunistischen Partisanen, die bis in die 1950er-Jahre gegen das realsozialistische Regime gekämpft hatten – und natürlich Papst Johannes Paul II.
Im Biologieunterricht soll bei der Sexualkunde nicht mehr auf Verhütungsmöglichkeiten hingewiesen werden. Auch hat Darwin nicht mehr den gleichen Rang wie früher. Seine Evolutionstheorie wurde indes nicht rundweg aus dem Schulprogramm gestrichen.