Neues Arbeitsgesetz treibt die Ungarn auf die Strasse

Mehr Überstunden, längeres Warten auf den Lohn: Die Partei von Regierungspräsident Viktor Orban hat ein neues Arbeitsgesetz durchgedrückt. Jetzt protestieren Arbeiter auf der Strasse.

Rudolf Gruber
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Plakate gegen Victor Orban: Der Premierminister zieht den Zorn der Bürger auf sich. Bild: Omar Marques/Getty (Budapest, 16. Dezember 2018)

Plakate gegen Victor Orban: Der Premierminister zieht den Zorn der Bürger auf sich. Bild: Omar Marques/Getty (Budapest, 16. Dezember 2018)

Viktor Orban, der seit 2010 mit absoluter Macht regiert und Ungarn in eine Republik mit autoritären Zügen umgebaut hat, scheint der sonst sichere Machtinstinkt abhanden gekommen zu sein. Letzten Mittwoch verabschiedete das Parlament mit Zweidrittelmehrheit seiner nationalkonservativen Partei Fidesz ein neues Arbeitsgesetz. Die Regierungspartei realisierte offenbar nicht, dass sie damit eine rote Linie überschritt. «Orban hau ab!» oder «Wir haben genug!» lauten die Parolen der Protestwelle, die am letzten Mittwoch begonnen und mittlerweile das ganze Land erfasst hat. Allein am Sonntag gingen in der Hauptstadt Budapest mehr als 15000 Menschen auf die Strasse.

Das Gesetz, das ab Januar gilt, sieht eine Ausdehnung der Überstunden von jährlich 250 auf 400 «auf freiwilliger Basis» vor. Den Volkszorn heizt vor allem die Bestimmung an, wonach Unternehmen drei Jahre warten können, bis sie die Überstunden vergüten. Bislang hatten Arbeitnehmer Anspruch auf Lohn- oder Zeitausgleich innerhalb eines Jahres. Orban versuchte der arbeitenden Bevölkerung weiszumachen, das Gesetz sei nur zu ihrem Nutzen: «Jeder kann jetzt mehr arbeiten, wenn er will.» Die Regierung habe alle bürokratische Hemmnisse beseitigt.

Doch die Ungarn glauben Orban plötzlich nicht: Laut einer Umfrage lehnen 80 Prozent das neue Arbeitsgesetz ab, selbst zwei Drittel der Fidesz-Wähler. Denn es gibt kaum eine Familie, die nicht davon betroffen wäre. Arbeitnehmer befürchten vor allem die Entlassung, sollten sie Überstunden nicht leisten wollen. Sie misstrauen der Regierung, die zuvor den Gewerkschaften den Dialog verweigert, deren Einwände abgeschmettert und das Gesetz einfach durchgedrückt hatte. Erstmals seit Jahren war es deshalb im Parlament zu heftigen Tumulten zwischen Regierungs- und Oppositionsvertretern gekommen.

Ein Gefallen für internationale Konzerne?

Laut vielen Beobachtern hat die Regierung mit diesem Arbeitsgesetz vor allem internationalen Konzernen einen Gefallen tun wollen. Namentlich die in Ungarn stark vertretene deutsche Autoindustrie würde von aufgeweichten Arbeitnehmerrechten profitieren. Laut Medienberichten sorgen sich deren Vertreter seit längerer Zeit über den zunehmenden Arbeitskräftemangel in Ungarn. Orban fürchtet offenbar eine Abschwächung seiner stärksten Exportstütze. Er habe, so Bence Tordai von der Kleinpartei Párbeszéd (Dialog), «die ungarischen Arbeitnehmer für ein paar Silberlinge an die deutsche Industrielobby verkauft». Die Ungarn wissen genau, dass in Deutschland die 35-Stunden-Woche gilt, während sie für deutlich weniger Geld 48 Stunden und künftig noch mehr arbeiten sollen. Schon vor Jahren hat die Regierung das Streikrecht stark dezimiert, im Gegenzug werden namentlich deutsche Autokonzerne mit den niedrigsten Steuern in der EU belastet.

Wie lange der Atem der Protestbewegung anhält, ist ungewiss. Orbans Regierung kann nur in Wahlen gestürzt werden, die nächsten finden 2022 statt. Der gewiefte Premier scheint zu ahnen, dass allzu viel Staatsgewalt seine Gegner nur stärkt. Letzten Samstag setzte die Polizei noch massiv Tränengas und Gummiknüppel ein, rund 60 Demonstranten wurden verhaftet. Am Sonntag hielten sich die Ordnungskräfte auffallend zurück. Orban versucht offenbar, die Anti-Stimmung so lange wie möglich auszusitzen. Ein Zeichen dafür ist das betretene Schweigen des sonst nicht um Worte verlegenen Regierungschefs. Vorerst schickt er nur seine Unterläufer vor die Medien, welche die Protestwelle auf «gewaltbereite Störenfriede» reduzieren wollen.