Neue Verfassung als Farce

Trotz anhaltender Gewalt hat das syrische Regime gestern über ein Verfassungsreferendum abstimmen lassen, das die Opposition kategorisch zurückgewiesen hat.

Michael Wrase
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Syrische Stimmbürgerin neben einem Porträt Diktator Assads. (Bild: ap/Muzaffar Salman)

Syrische Stimmbürgerin neben einem Porträt Diktator Assads. (Bild: ap/Muzaffar Salman)

LIMASSOL. Unparteiische Beobachter aus dem Ausland durften die über 14 000 Wahllokale nicht besuchen. So konnte das syrische Regime die Abstimmung medienwirksam für sich ausschlachten und dem Volk als «grossen Sieg» für Staatspräsident Bashar al-Assad verkaufen. Der Diktator wurde vor laufenden Kameras des Staatsfernsehens als «Garant für die Stabilität» gefeiert. Vermutlich ausgesuchte Bürger gingen sogar so weit, den politisch angeschlagenen Präsidenten als einen «aufrechten Demokraten» zu preisen.

Artikel 8 fällt weg

Westliche Diplomaten in Damaskus zeigten sich erstaunt, dass die Abstimmung über eine neue Verfassung in den Millionenstädten Damaskus, Aleppo und Lattakia offensichtlich weitgehend reibungslos verlief. In Homs, Hochburg der Aufständischen, wo Soldaten Assads den Beschuss einzelner Stadtviertel mit leicht verminderter Intensität fortsetzten, boykottierten die meisten Bürger den Gang zu den Urnen. Allerdings schaffte es das Regime auch dort, einige Tausende Anhänger zu den Urnen zu bringen und dies über die Medien als «Zeichen von Normalität» zu verkaufen.

In der neuen Verfassung verzichtet das syrische Regime auf Artikel 8, der die «Führungsrolle der Baath-Partei in Staat und Gesellschaft» festgeschrieben hatte. Nach der Annahme der neuen Verfassung sollen innert 90 Tagen «freie und faire Wahlen» stattfinden, an denen auch Oppositionsparteien teilnehmen dürfen.

Fallstricke für neue Parteien

Das tönt auf den ersten Blick nicht schlecht. Tatsächlich darf aber die von der alten Regierung eingesetzte Wahlkommission entscheiden, welche Parteien zugelassen werden. Wie in Ägypten dürften auch in Syrien neu zugelassene Parteien nicht in der Lage sein, innert drei Monaten die notwendigen Strukturen aufzubauen, um einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Ausgang der Präsidentenwahlen im Jahr 2014, sollten sie überhaupt stattfinden, bereits ausgemachte Sache: Laut neuer Verfassung braucht jeder Präsidentschaftskandidat die Zustimmung von 35 Angeordneten der 250 Mitglieder zählenden Volksversammlung. Es gilt als sicher, dass die Opposition diese Hürde nicht überwindet. Assad kann daher mit seiner Wiederwahl fest rechnen und nach der neuen Verfassung sich noch zweimal zur Wahl stellen – und damit theoretisch bis 2028 weiterregieren.

Demokratie als Fremdwort

Die Abstimmung über die neue Verfassung kommt für das Assad-Regime genau ein Jahr zu spät. Hätte der Diktator vor Ausbruch der syrischen Revolution das Machtmonopol der Baath-Partei abgeschafft, wäre dies vielleicht als Zeichen für Reformwillen angesehen worden. Aus Sicht Assads macht die Abstimmung dennoch einen gewissen Sinn, weil damit Syriens treuen Bündnispartnern Russland und China signalisiert wird, man sei trotz aller Widrigkeiten zu Reformen bereit. Und die arabischen Golfstaaten, die jüngst die Bewaffnung der syrischen Opposition verlangten, haben kein Recht, die unzureichende Verfassungsreform in Syrien zu kritisieren. Denn in Saudi-Arabien oder Qatar sind Wahlen ein Fremdwort. Saudi-Arabien hat noch nicht einmal eine Verfassung.