NATIONALISMUS: Mazedonien droht die Spaltung

Die neue politische Krise bringt Mazedonien an den Rand des Zerfalls. Ein ethnischer Konflikt zwischen Slawen und Albanern scheint unvermeidbar, Russland und Nachbar Albanien mischen kräftig mit.

Rudolf Gruber, Wien
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Rudolf Gruber, Wien

Was vor zwei Jahren als Abhörskandal begann, ist zu einer Staatskrise geworden, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. 2014 hatten die oppositionellen Sozialdemokraten (SDSM) staatliche Sicherheitsprotokolle zugespielt bekommen, die systematische Korruption und Machtmissbrauch der nationalistischen Regierung belegen. Aufgedeckt wurde dabei auch eine illegale Lauschaktion gegen rund 20000 Bürger, die der seit 2006 regierende Premier Nikola Gruevski für politische Gegner hielt.

Die durch EU-Druck erzwungene Neuwahl im Dezember sollte die Krise beenden, hat sie aber nur noch verschärft. Weder ­Gruevskis Nationalistenpartei VRMO-DPMNE noch die SDSM von Oppositionschef Zoran Zaev erhielten eine Mehrheit. Da beide eine Zusammenarbeit ausschliessen, sind sie auf die Albanerparteien angewiesen.

Deshalb gibt es noch immer keine neue Regierung. Gruevski scheiterte mit einer Regierungsbildung, da die bislang mitregierende grösste Albanerpartei DUI des früheren Rebellenführers Ali Ahmeti sowie zwei kleinere Albanerparteien für die Nationalisten unannehmbare Bedingungen stellten – unter anderem Albanisch als zweite Amtssprache landesweit, mehr Autonomierechte für albanisch besiedelte Kommunen sowie mehr Schlüsselstellen im Staatsapparat.

Dubiose Rolle des Staatspräsidenten

Zaevs SDSM dagegen akzeptierte diese Bedingungen und schloss mit den Albanerparteien ein Koalitionsabkommen. Doch Staatschef Gjeorge Ivanov weigert sich, Zaev das Mandat zur Bildung einer Regierung zu erteilen, obwohl die Koalition eine Mehrheit von 67 von 120 Sitzen im Parlament hätte. Ivanov hält die Zugeständnisse an die Albaner für verfassungswidrig und staatszersetzend. Er werde keine Regierung vereidigen, «die das Potenzial hat, das Land zu zerstören», sagte er. Der Präsident gilt als treuer Gefolgsmann Gruevskis.

Die Albaner, die ein Viertel der zwei Millionen Einwohner stellen, haben wieder das Gefühl, doch nicht mit der slawischen Mehrheit gleichgestellt zu sein. DUI-Chef Ahmeti warnte davor, «dass aus der Systemkrise ein ethnischer Konflikt wird». Anti-Albaner-Proteste sind im Land wieder an der Tagesordnung. Schon 2001 stand es am Rand eines Bürgerkriegs. Auch damals wollte die slawische Mehrheit den Albanern Bürgerrechte vorenthalten. Nur mühsam wurde unter westlicher Vermittlung ein Friedensvertrag ausgehandelt. Seither war Ahmetis DUI meist an Macht und Pfründen beteiligt. Die neue Krise haben die Albaner genutzt, ausstehende Rechte im Koalitionspakt mit der SDSM festzuhalten. Dieser Pakt wurde in Tirana geschlossen, der Hauptstadt der benachbarten Mutterrepublik Albanien, was den Verdacht von Einmischung in innere Angelegenheiten weckte. Prompt verhöhnte Gruevski das Abkommen als «Tirana Plattform» und warf SDSM-Chef Zaev vor, eine Marionette der Albaner zu sein.

Gruevski bot Zaev «zwei Auswege» aus der Krise an: Entweder er stimme Neuwahlen zu oder löse den Koalitionspakt mit den Albanern auf und bilde eine Minderheitsregierung, die von den Nationalisten geduldet würde. Zaev lehnte ab, Gruevski wolle nur Zeit gewinnen. Er forderte Präsident Ivanov auf, seine «verfassungswidrige Entscheidung zurückzunehmen» und ihm endlich das Mandat zur Regierungsbildung zu erteilen.

Zwischen Autonomie und Grossalbanien

Ivanovs und Gruevskis Verhalten läuft auf eine Diskriminierung der Albaner hinaus, was bis zur Spaltung des Landes führen könnte: Schon kursieren Gerüchte, wonach sie in ihren Gebieten im Westen des Landes einseitig die Autonomie ausrufen wollten.

Längst hat sich auch Russland, das den Balkan dem Einfluss des Westens entziehen will, in die Krise eingemischt. So warnte es vor einem Grossalbanien, das aus Albanien, Kosovo sowie Gebieten Mazedoniens, Montenegros und Griechenlands gebildet werden solle. Moskau bezieht sich ausdrücklich auf den Kosovo-Präsidenten Hashim Thaci, der mit Blick auf Mazedonien erklärt hatte: «Es ist Zeit, dass die Albaner ihre eigenen Rechte in die Hand nehmen.»