Der Bürgerrechtler Desmond Tutu starb am Sonntagmorgen im Alter von 90 Jahren in Kapstadt. Lange kämpfte der Erzbischof gegen das Apartheid-Regime. Für viele war er «Südafrikas moralischer Kompass».
Von der Methodistenkirche in Kapstadt hängt ein übergrosses Banner: «Danke, dass du uns gezeigt hast, wie man Gerechtigkeit bewirkt, Gnade liebt und Bescheidenheit übt», ist darauf zu lesen. Über dem Spruch in Regenbogenfarben faltet Desmond Tutu die Hände zum Gebet. In Südafrika herrscht Trauer über den Tod des geliebten Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträgers.
Wie Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bekanntgab, habe sein Land am Sonntag ein «weiteres Kapitel des Verlustes» aufgeschlagen, mit dem man sich von einer «Generation herausragender Südafrikaner» verabschiede.
Tutu starb am Sonntagmorgen, zwei Monate nach seinem 90. Geburtstag, in Kapstadt. Als anglikanischer Erzbischof hatte er das Apartheid-Regime jahrelang von der Kanzel aus bekämpft. Sein Einsatz bis weit in die Rentnerjahre hinein hatte ihm den Beinamen «Südafrikas moralischer Kompass» eingebracht. «Wir beten dafür, dass die Seele von Erzbischof Tutu in Frieden ruht, während sein Geist über die Zukunft unserer Nation wacht», betonte Ramaphosa.
Auch der amtierende Erzbischof von Kapstadt, Thabo Makgoba, erinnerte an das Wirken seines Vorgängers. Ihm zufolge habe Tutus Glaube dessen Einsatz gegen die Rassentrennung und das Apartheid-Regime motiviert. Weil er an Gott und die Überlegenheit von Gerechtigkeit und Freiheit glaubte, habe Tutu «niemanden gefürchtet», so Makgoba:
«Er kämpfte gegen Systeme, die die Menschlichkeit erniedrigten.»
1985 wurde Desmond Mpilo Tutu innerhalb der anglikanischen Kirche zum ersten schwarzen Bischof von Johannesburg gewählt, ein Jahr später als erster Afrikaner zum Erzbischof von Kapstadt. Er verwandelte die St. George-Kathedrale im Herzen der weissen Parlamentshauptstadt zum Brutplatz des Widerstands. «Wer in einer Situation der Ungerechtigkeit neutral bleibt, hat die Seite des Unterdrückers gewählt», war Tutu überzeugt.
Die Tatsache, dass der Revoluzzer in Bischofskutte den Friedensnobelpreis gewonnen hatte, bescherte ihm ein gewisses Mass an Immunität. In seinem Leben habe er nicht nur eine Tuberkuloseerkrankung überwunden, so Präsident Ramaphosa, sondern auch «die Brutalität der Sicherheitskräfte» und die «Hartnäckigkeit aufeinanderfolgender Apartheid-Regierungen». Weder Tränengas noch Apartheid-Polizisten hätten Tutus «eisernen Glauben an unsere Befreiung» erschüttert.
1994 überwand Südafrika die Apartheid, Nelson Mandela wurde Präsident. Unvergessen bleibt eine Begebenheit bei den Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC): Als deren Vorsitzender, Desmond Tutu, in Tränen ausbrach. Dazu bewegt hatte ihn die Aussage eines Regimeopfers, das beschrieb, wie es bei Folterungen regelmässig beinahe erstickt wäre.
«Wo immer er war, machte er die Welt zu einem gütigeren, freundlicheren Ort, und erinnerte uns daran, dass wir uns durch Wahrheitsfindung und Wiedergutmachung selbst heilen können», sagte die frühere Mandela-Sekretärin und Buchautorin Zelda La Grange. Das südafrikanische Online-Magazin «New Frame» nennt Tutu einen «Architekten der südafrikanischen Demokratie».
Selbst nach seinem offiziellen Rentenantritt an seinem 79. Geburtstag sprach sich Tutu regelmässig gegen Missstände aus. Auf der Weltbühne trat er für Unterdrückte in Tibet, Myanmar und Palästina ein. In seiner Heimat Südafrika prangerte er illegale Waffengeschäfte und Ausländerfeindlichkeit an sowie die Diskriminierung von Homosexuellen und Menschen mit HIV/Aids.
Zuletzt kritisierte er oft den regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC). «Es scheint mir, dass eine Truppe aus Freiheitskämpfern nicht so einfach den Wandel zu einer Politpartei schafft», sagte Tutu 2013. Der ANC schlitterte in den vergangenen Jahren von einem Korruptionsskandal zum nächsten. Südafrika gilt als Land mit den grössten Einkommensunterschieden, jeder dritte ist arbeitslos. «Obwohl er am demokratischen Übergang mitwirkte, zögerte er nicht, die neue Regierung sowohl an ihre moralische Verantwortung als auch an ihre zunehmenden Mängel zu erinnern», so die Tutu-Stiftung in Kapstadt.
In Johannesburg beklagte die «Sunday Times» am Sonntagmorgen: die Welt habe einen «internationalen Streiter für Frieden und Versöhnung» verloren. «Aber für Südafrika bedeutet das viel mehr. Das Land hat sein Gewissen und seinen Polarstern verloren, der die Nation seit den 1980ern geleitet hat.»