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Die wohl durch einen Manövrierfehler ausgelöste Havarie ist vorerst vorbei. Im April dürfte es dennoch Lücken in den Ladenregalen geben.
«Al Hamdulillah» – zu Deutsch: «Lob sei Gott» – twitterte die ägyptische Suezkanalbehörde am Montag um 15 Uhr Ortszeit. Kurz zuvor war es den ägyptisch-niederländischen Bergungsmannschaften gelungen, die 200000 Tonnen schwere «Ever Given» aus dem lehmigen Ufersand des Suezkanals zu befreien. Ausschlaggebend für den Erfolg der Operation war die einsetzende Flut, die den Wasserpegel in der wichtigsten Schiffsverkehrsader der Welt am frühen Nachmittag um zwei Meter ansteigen liess. Erst danach konnte eine Flottille von Schleppern und Baggern den 400 Metern langen Koloss wieder in die Mitte der Wasserstrasse bringen.
Von dort aus wurde die «Ever Given» für eine technische Inspektion zum Grossen Bittersee geschleppt, der sich auf halbem Weg zwischen dem Nord- und dem Südende des knapp 200 Kilometer langen Kanals befindet.
An den Kanalzufahrten hatten sich am Montagmorgen 393 Frachtschiffe, unter ihnen 29 Öltanker, gestaut. Nach Erkenntnissen des Datenunternehmens Refinitiv wird es voraussichtlich mehr als zehn Tage dauern, bis der Rückstau am Suezkanal abgebaut sein wird.
Verursacht hatte die Havarie vermutlich ein schwerer Manövrierfehler. Nach Informationen des Fachmagazins «Lloyds of List» sind jeden Tag Waren im Wert von acht Milliarden Dollar aufgehalten worden. Die Blockade werde zu einer der grössten Störungen des Welthandels der vergangenen Jahre führen, erklärte das in Genf ansässige Schifffahrtsunternehmen MSC.
Die internationalen Lieferketten waren bereits vor der Sperrung der Wasserstrasse durch die Coronapandemie schwer belastet. Gerade für die Chemie- und Pharmabranche hat der Suezkanal eine besondere Bedeutung. 16 Prozent der Chemieexporte kommen aus Asien per Schiff durch den Kanal, und 18 Prozent der Ausfuhren gehen über die Wasserstrasse nach Asien.
Von den entstehenden Verzögerungen betroffen werden auch Haushaltsartikel sein. Das Handelsunternehmen Intertrading, das unter anderem die Discounter Lidl und Aldi beliefert, rechnet ab Mitte April mit Lücken in den Regalen. «Schon jetzt wissen wir, dass unsere Artikel keinesfalls pünktlich in den Bestimmungshäfen sein werden», erklärte Intertrading-Chef Oliver Guttmann.
Immerhin: «Zu Ostern müssen wir uns noch keine Sorgen machen, weil viele Händler noch auf Lagervorräten sitzen», sagte der Geschäftsführer der Hamburger Spedition A. Hartrodt dem «Handelsblatt».
Früher als der Einzelhandel könnten Europas Fertigungs-, Auto- und Autozulieferer von den Folgen der Blockade betroffen sein. Allerdings seien die Auswirkungen der Suezkanalblockade auf einzelne Sektoren gegenwärtig nur schwer zu quantifizieren, sagte Daniel Harlid, ein Analyst der Ratingagentur Moodys.
Glück gehabt haben die rund 130'000 Schafe, die auf insgesamt neun rumänischen und fünf spanischen Transportern vor dem Nordportal des Kanals feststeckten. Die lebenden Tiere sollen nach Saudi-Arabien und Jordanien geliefert werden. Tierärzte hatten sich mit den zuständigen Schiffscrews in Verbindung gesetzt und die Situation der Tiere überwacht.
Tierschutzorganisationen wie Animals International zeigten sich dennoch besorgt. Die Tiere seien nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, sagte die Organisation. Sie verlangt, dass in Zukunft keine lebendigen Tiere mehr verschifft werden sollen.