Der «Mueller Report» und die Folgen für die Präsidentschaft Trumps.
Natürlich ist Bill Kristol befangen. Einst war der neokonservative Publizist ein Helfer republikanischer Politiker und beriet George W. Bush, Dick Cheney und John McCain. Als Donald Trump zuerst die Republikanische Partei kaperte und dann Washington im Sturm eroberte, wurde Kristol in der Hauptstadt aufs Abstellgleis geschoben. Dennoch war sein Kommentar von vorgestern, nach der Veröffentlichung einer ersten Zusammenfassung des «Mueller Report», vortrefflich. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb Kristol: «Wenn dies ein derart guter Tag für Trump-Unterstützer sein soll, warum sind sie dann dermassen wütend?»
In der Tat war es bemerkenswert, wie zornig die Verbündeten des Präsidenten auf den Quasi-Freispruch von Sonderermittler Robert Mueller und Justizminister William Barr reagierten. Umgehend wurde der Ruf laut, dass Ermittlungen gegen die Ermittler aufgenommen werden müssten – um herauszufinden, warum die Bundespolizei FBI vor fast drei Jahren eine Untersuchung gegen den Wahlkampfstab von Donald Trump ins Rollen gebracht habe. «Die andere Seite», behauptete Trump, habe versucht, ihn zu Fall zu bringen und dabei Landesverrat begangen. «Dies darf sich nie wiederholen.» Und Kellyanne Conway, eine enge Beraterin des Präsidenten, rief gestern der versammelten Journalistenschar im Weissen Haus zu: «Sie sollten sich bei uns entschuldigen!» Zwei Jahre lang habe das Team des Präsidenten «Grosses geleistet». Diese Arbeit sei aber von den Journalisten ignoriert worden – weil die Hauptstadtmedien es vorgezogen hätten, über «Unsinn» wie angeblichen Absprachen mit dem Kreml, Strafvereitelung im Amt und ein drohendes Amtsenthebungsverfahren zu berichten, sagte Conway.
Nun ist es nachvollziehbar, dass der Präsident und seine Berater sich über die Medienberichterstattung der vergangenen Jahre empören. Nicht immer trafen die Kritiker Trumps den richtigen Tonfall. Andererseits ist es heuchlerisch, dass der Präsident nun die Arbeit und den Charakter Muellers lobt, nachdem er die Reputation des Sonderermittlers fast zwei Jahre lang durch den Dreck gezogen hatte. Noch am Freitag behauptete Trump in einem Fernsehinterview, Mueller sei voreingenommen und ein Parteigänger der Demokraten. Auch ist der eigentliche «Mueller Report» immer noch unter Verschluss. Bisher bekam die Öffentlichkeit erst eine Zusammenfassung zu sehen, die von Justizminister Barr verfasst wurde. Die Zwischenrufe Conways lenken schliesslich davon ab, dass es Trump höchstpersönlich ist, der ein Interesse an einer Fortsetzung der Debatte über die Russland-Affäre hat – auch wenn mittlerweile bewiesen ist, dass der Kreml den Wahlkampf 2016 ohne amerikanische Helfershelfer manipuliert hatte.
Im Politbetrieb der Hauptstadt ist der Präsident nämlich auf einen Prügelknaben angewiesen, auf den er zurückgreifen kann, wenn sich seine Regierung wieder einmal mit einem politischen Hindernis konfrontiert sieht. Anders gesagt: Das System Trump läuft dann auf Hochtouren, wenn der Präsident – ehemaliger Geschäftsmann und selbst ernannter Multi-Milliardär, der gegen den Widerstand der Eliten für die Präsidentschaft kandidierte – auf Widerstand stösst und gegen tatsächliche und imaginäre Gegner austeilen kann. Obwohl Trump in den vergangenen zwei Jahren ausreichend Gelegenheit hatte, Koalitionen zu schmieden, um die wichtigsten Probleme des Landes zu lösen, wies er mögliche Kooperationsangebote jeweils zurück. Stattdessen beklagt er sich immer noch bitterlich darüber, dass der mittlerweile verstorbene John McCain im Frühjahr 2017 die Reform der Krankenversicherung «Obamacare» im Senat torpedierte.
Das ist seine eigentliche Schwäche: Der Präsident ist ein kleinlicher, selbstverliebter Mann, der sich stets darüber beschwert, vom Rest der Welt schlecht behandelt zu werden. Daran wird auch die Entlastung durch Justizminister Barr und Sonderermittler Mueller nichts ändern, selbst wenn einige seiner Verbündeten gestern sagten, nun sei die Zeit für eine Kurskorrektur gekommen. «Ich würde nun den Fokus darauf richten, was für das Land als nächstes kommt», sagte zum Beispiel Senator Lindsey Graham, der regelmässig mit dem Präsidenten Golf spielt.
Die Demokraten sind deshalb gut beraten, den «Mueller Report» zum Nennwert zu nehmen, und möglichst rasch zum politischen Alltag überzugehen. Sie müssen der amerikanischen Bevölkerung erklären, was ein demokratischer Präsident anders und besser machen würde als ein Präsident Donald Trump. Nur so lässt sich der Amtsinhaber im Wahljahr 2020 bezwingen.