Moslems demonstrieren gegen die «Barbarei»

PARIS. In Paris haben Moslems und andere Bürger gegen islamistischen Terror demonstriert.

Stefan Brändle
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PARIS. In Paris haben Moslems und andere Bürger gegen islamistischen Terror demonstriert. Vor der Moschee versammelten sich nach dem Freitagsgebet Hunderte Gläubige, um ihren Abscheu und ihre Entrüstung über die Ermordung der Geisel Hervé Gourdel durch die algerische Terrorgruppe Jund al-Khilafa auszudrücken. Es war das erstemal, dass die als gemässigt geltende Moscheeleitung zu einer solchen Kundgebung aufgerufen hat. «Wir Moslems sagen: Schluss mit der Barbarei!», rief Moscheerektor Dalil Boubakeur vor dem Eingangsportal aus. Bürgermeisterin Anne Hidalgo begrüsste in ihrer Rede, dass der «tolerante und offene» Islam Frankreichs «nichts mit Mördern ohne Gesetz und ohne Glauben zu tun» habe.

Kritik an der Kundgebung

Nicht überall fand die Demonstration Zustimmung. Das «Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich» sah von einer Beteiligung ab und begründete dies in einer Mitteilung: «Wir verweigern uns den systematischen Klagen gegen Personen islamischen Glaubens, welche die ersten Opfer barbarischer Akte in der Welt sind.» Anne Hidalgo ging indirekt auf diese Kritik ein und meinte an die französischen Moslems gewandet: «Sie haben sich nicht zu entschuldigen.»

Aber auch die frühere Justizministerin Rachida Dati sprach sich am Radio gegen die Kundgebung aus. «Vermengen wir nicht Islam und Islamismus, wie das ein Teil der politischen Klasse tut», sagte die aus Marokko und Algerien stammende Ex-Ministerin. Aus ihrer Wortmeldung ging auch hervor, warum die Frage in Frankreich besonders heikel ist: «Wenn uns immer gesagt wird, dass der Glaube eine Frage der Privatsphäre sei – warum verlangt man dann von uns Moslems jetzt, wir sollen als solche auf die Strasse gehen, um gegen die Barbarei zu kämpfen?»

Religion wird ausgeblendet

Im laizistischen Frankreich wird die Frage der Glaubenszugehörigkeit wie der Hautfarbe konsequent aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Ethnische oder religiöse Statistiken sind daher gar ausdrücklich verboten. Viele junge Franzosen, die mit ihren aus Nordafrika eingewanderten Eltern in den Vorstädten leben, verstehen deshalb nicht, warum sie sich plötzlich von Terroristen in anderen Ländern und Kontinenten distanzieren sollen, nur weil sich diese auf den gleichen Glauben berufen. «Das Problem dieser Banlieue-Jugendlichen ist ja gerade, dass sie an nichts mehr glauben», meint der Blogger Nordine Nabili. «Und jetzt verlangt man von ihnen plötzlich Aussagen zu einer religiöse Frage, von der sie nichts verstehen.»

Missionierende Salafisten

Fast noch mehr Aufsehen erregt in Paris, dass nicht nur junge Moslems, sondern auch grosse Islamverbände der Kundgebung fernblieben. Die «Union der islamischen Organisationen Frankreichs» «weigert sich, auf irgendeine Weise mit diesen Verbrechen in Verbindung gebracht zu werden», liess sie verlauten. Sie ist in Banlieue-Vierteln sehr aktiv, steht den ägyptischen Moslembrüdern nahe und pflegt Kontakte zu Salafisten, die in Frankreichs Moscheen die gemässigten Imame herausfordern. Sie missionieren auch massiv in Gefängnissen. Dort kommen deshalb viele unbedarfte Kriminelle auf den Islam. Zu ihnen gehören auch die Attentäter Mohammed Merah – der in Toulouse 2012 sieben Menschen erschoss – und Mehdi Nemmouche, der im Sommer im jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen umbrachte.