Mit der Macht des Wortes

Mit der Macht des Wortes Um Vaclav Havel, der Lichtgestalt der Samtenen Revolution, die 1989 das stalinistische Regime der Tschechoslowakei hinwegfegte, ist es seit seinem Rücktritt als Staatspräsident 2003 eher still geworden.

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Um Vaclav Havel, der Lichtgestalt der Samtenen Revolution, die 1989 das stalinistische Regime der Tschechoslowakei hinwegfegte, ist es seit seinem Rücktritt als Staatspräsident 2003 eher still geworden. Er hält sich weitgehend aus der Tagespolitik heraus, ist wieder mehr Schriftsteller, der er ja ursprünglich war.

Havels historisches Verdienst, sein Land aus der kommunistischen Diktatur in die Freiheit geführt zu haben, bleibt einzigartig. Gleichwohl fielen die Würdigungen anlässlich seines gestrigen 75. Geburtstags nicht nur positiv aus. «Wer braucht Havel noch?», fragte ein bissiger Kommentator.

Selbst in seiner aktiven Zeit auf der Prager Burg war sein Ansehen im westlichen Ausland höher als im eigenen Land. Die seit dem Umbruch herangewachsene junge Generation kennt Havel und sein politisches Erbe nur aus Erzählungen und Büchern; ein Idol ist er für sie nicht, Freiheit und Demokratie sind für sie selbstverständlich.

«Havel auf die Burg!»

Vaclav Havel, Sohn eines Prager Kaufmanns, also aus bourgeoisem Haus, war ein besessener Illusionist, den die politischen Umstände seines Landes zum Revolutionär machten. Seine einzige Waffe war sein obsessiver Glaube, den kommunistischen Polizeistaat allein mit der «Macht des Wortes» zu stürzen. Als Havel sein Ziel tatsächlich erreicht hatte und das Volk rief: «Havel na hrad!» (Havel auf die Burg!), war er selbst am meisten überrascht. Denn als Volksheld sah sich Havel nie. Er war nicht einmal ein guter Redner.

Was seinen Mythos begründete, war sein Kampf gegen das Regime «bis an die Grenze des Physischen», wie sein Weggefährte und Schriftsteller Jiri Grusa schreibt. Der Preis waren lebensgefährliche Erkrankungen während langer Haftjahre, an deren Folgen er bis heute leidet.

Ein Mahner bis heute

Havel fand zwar Gefallen an der Macht, aber sein Verhältnis dazu blieb zwiespältig. Als Dissident verachtete er die Macht, als Präsident glaubte er, über mehr Macht zu verfügen, als er tatsächlich besass. Wie ein aufgeklärter, gütiger Despot wandte er sich stets direkt ans Volk, um seine Ideen auf den Weg zu bringen. Zugleich fühlt er sich auf der Prager Burg gefangen wie in einem goldenen Käfig, weil ihn die Parteien mehr oder minder ignorierten. Seine Feindschaft gegen die neue, schwer korrupte politische Elite ist geradezu zum Markenzeichen seines Amtsstils geworden. Vaclav Klaus, amtierender Präsident und langjähriger Intimfeind, höhnte einmal, Havels Idealvorstellung von einem Staat sei wohl eine gekrönte Republik.

Havel machte gewiss viele Fehler, aber dass er die Macht zum eigenen Vorteil missbraucht habe, wie dies heute in Tschechiens politischer Elite fast schon üblich ist, können ihm nicht einmal seine Feinde vorwerfen. Er ist nahezu der einzige Politiker, der sich Gedanken über die gesellschaftspolitische Befindlichkeit und die Zukunft seines Landes macht. Unermüdlich ermahnte er das Volk, über den eigenen Tellerrand zu blicken, die Chancen in einem vereinten Europa zu erkennen und zu nutzen. Die Tschechen werden ihn vermutlich erst vermissen, wenn sie ihn nicht mehr haben. (R.G.)