Deutliche Zuwächse verbuchte die rechtspopulistische Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF). Sie legte von 36 auf 58 Sitze zu. Zu ihr gehört unter anderem die Partei der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen.
Wähnt sich Marine Le Pen schon im Élysée? «Vive la République, vive la France!», beendete die Anführerin des «Rassemblement National» (RN) am Sonntagabend ihren Wahlkommentar – mit einer Floskel, die vor allem der Staatschef verwendet. Grossspurig hatte sie zuvor die Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen verlangt und von einem «Sieg des Volkes» gesprochen.
Doch so gut ihr Wahlresultat ist: Es zeugt gar nicht von einer Steigerung, sondern eher einer Stagnation. Bei den Europawahlen von 2014 hatte Le Pen sogar über 24 Prozent der Stimmen erzielt, womit sie stärkste Partei Frankreichs wurde. Das ist sie auch jetzt. Zugleich aber scheint sich ihre Wählerbasis trotz des günstigen Umfeldes – Stichwort Gilets jaunes – nicht mehr zu erweitern: Die «Nationale Sammlungsbewegung», Nachfolger des rechtsextremen «Front National», bleibt weit davon entfernt, auf nationaler Ebene auch nur in die Nähe einer 50-Prozent-Mehrheit zu kommen.
Dazu bräuchte sie Allianzen, und die sind nicht in Sicht: Macron wiederum hat zwar sein Direktduell gegen die Populistin verloren. Aber er weiss: Bei der Königswahl kann er wie schon bei der Präsidentschaftswahl von 2017 auf all jene zählen, die sich eine Rabaukin wie Le Pen im ehrwürdigen Élysée-Palast schlicht nicht vorstellen können. Der Staatschef denkt nicht daran, Neuwahlen anzusetzen.
Bei den Europawahlen auf dem zweiten Platz zu landen, kann er sich leisten. Denn zugleich hat er das 2017 begonnene Werk, die etablierten Parteien auszumerzen, an diesem Sonntag erfolgreich fortgesetzt. Die bürgerlichen Republikaner, Bannerträger der gaullistischen Massenbewegung von einst, fuhren eine historische Schlappe von 8,4 Prozent ein. Die Sozialisten (6,2 Prozent) müssen schon froh sein, mit Raphaël Glucksmann die Fünfprozenthürde geschafft zu haben – was für die Partei wohl das Ende bedeutet hätte.
Auch das «Unbeugsame Frankreich» von Jean-Luc Mélenchon figuriert mit 6,3 Prozent unter ferner liefen. Wenn von dem Wahlabend in Paris etwas in Erinnerung bleibt, dann war es die Grabesrede des erschütterten Parteichefs, der 2017 dreimal mehr Stimmen erzielt hatte. Die Hoffnungen der Linken liegen nun auf den Grünen, deren Listenführer Yannik Jadot im Wahlkampf den richtigen Ton getroffen hatte, um den ökologischen Opportunismus der übrigen Parteien zu entlarven. Dank ihrer Jungwähler werden die «Verts» mit 13,4 Prozent der Stimmen zur dritten Kraft in Frankreich. Innenpolitisch haben sie allerdings wenig auszurichten. Chronisch zerstritten, gelten sie als weniger seriös und dogmatischer als ihre Schwesterparteien im deutschsprachigen oder skandinavischen Raum. Auf rot-grüne Allianzen scheint Jadot auch nicht erpicht: Als ihm Glucksmann am Wahlabend symbolisch die Hand reichte, brüskierte er ihn mit der Erklärung: «Wir werden uns nicht wie die Altparteien des 20. Jahrhunderts an den Tisch setzen, um Abkommen und Deals auszuhandeln.»
Die Liberalen lehnte Jadot am Sonntagabend aus Prinzip ab. Das war vielleicht auch eine Antwort an Daniel Cohn-Bendit, der 2009 mit der Liste «Europe Ecologie» 16,3 Prozent erzielt hatte. Er ist inzwischen zu Macron übergelaufen und hatte die französischen Grünen im Mai als «Sekte» bezeichnet. Ob das übertrieben war, muss sich jetzt weisen.