Krieg dem «Kalifat» auch in Syrien

Die USA und ihre arabischen Alliierten weiten den Luftkrieg gegen den Islamischen Staat (IS) auf Syrien aus. Risiko von Rachegewalt der Jihadisten gegen sunnitische Staaten, die sich den US angeschlossen haben, steigt.

Michael Wrase, Limassol
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Nach den amerikanisch-arabischen Luftangriffen. Zerstörung in der syrischen Stadt Idlib, die neben der IS-Hochburg Rakka zu den Hauptzielen gehörte. (Bild: afp/Anadolu Agency)

Nach den amerikanisch-arabischen Luftangriffen. Zerstörung in der syrischen Stadt Idlib, die neben der IS-Hochburg Rakka zu den Hauptzielen gehörte. (Bild: afp/Anadolu Agency)

Ein Twitter aus der syrischen Stadt Rakka war der erste. Schon 40 Minuten vor der offiziellen Bestätigung durch das Pentagon meldete der User Abdulkader Hariri «gewaltige Explosionen», «Der Himmel ist voller Drohnen», verkündete Hariri wenig später aus der «Hauptstadt des IS-Kalifats», die bis zum Sonnenaufgang nicht nur von US-Kampfjets bombardiert wurde. Auch 15 Marschflugkörper waren in der Stadt am Euphrat einschlagen.

Die Ziele waren Kommandozentren in der Stadtmitte, Trainingslager und Waffenarsenale der IS-Milizen, die sich aber anscheinend auf den Ernstfall vorbereitet hatten. Nach Berichten von Aktivisten sollen die Jihadisten in der vergangenen Woche «alle strategischen Einrichtungen» in Rakka geräumt haben. Schweres Militärgerät sei in kleinen Dörfern versteckt worden, wo sich auch die meisten Funktionäre des IS versteckt halten sollen.

«Grosse Errungenschaft»

An den als massiv beschriebenen Angriffen haben sich auch fünf arabische Staaten – Saudi-Arabien, Qatar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Jordanien – beteiligt. Ihr Kriegseintritt, den bislang nur Jordanien und Bahrain offiziell bestätigt haben, wurde von US-General Jack Keane als eine «grosse Errungenschaft» gepriesen. Zum ersten Mal habe Amerika fünf sunnitische Staaten davon überzeugen können, einer sunnitischen Terrororganisation den Krieg zu erklären.

Freiwillig, das ist sicher, haben sich die Golfaraber, denen bisher eine Unterstützung der IS-Jihadisten unterstellt wurde, nicht ins Boot der Amerikaner gesetzt. Sie wurden dazu gezwungen. Durch ihre Beteiligung am Terrorkrieg in Syrien, befürchtet der jordanische Politologe Sami Khoury, könnten sich die Machtverhältnisse in der Region verschieben. Der schiitische Iran, der sich aus dem Krieg heraushalte, werde von den «undurchsichtigen Allianzen» profitieren.

Nicht nur Khoury erwartet nach dem Kriegsauftakt in Syrien «dramatische und chaotische Tage im Mittleren Osten». «Ohnmächtig vor Wut» könnten die IS-Jihadisten nun die «neuen arabischen Verbündeten der Amerikaner zur Rechenschaft ziehen», erklärte der Sicherheitsexperte der BBC, Frank Gardner, nachdem ein IS-Aktivist in Rakka Saudi-Arabien unterstellt hatte, die Angriffe erst «ermöglicht zu haben».

Entlastung für syrische Kurden…

In der «Hauptstadt des Kalifats» sollen nach unbestätigten Berichten mindestens 15 Zivilisten ums Leben gekommen sein. In Sozialen Netzwerken veröffentlichten die Jihadisten Fotos grässlich entstellter Babyleichen: «Seht her, was Amerika angerichtet hat», lautete ihre Botschaft an Gesinnungsgenossen in aller Welt. Als ein Zeichen ihrer «militärischen Stärke» feierten sie den Abschuss einer US-Drohne, deren Trümmer ebenfalls im Netz gezeigt wurden.

Ansonsten hatten die Jihadisten wenig Grund zum Jubeln. Ihr Expansionsdrang ist durch die amerikanisch-arabischen Luftschläge vorerst zumindest gestört. Erste Nutzniesser der Bombardements sind die syrischen Kurden, die den Vormarsch der IS-Milizen auf die Stadt Kobane inzwischen stoppen konnten und nun ebenfalls in die Offensive gehen wollen. 130 000 syrische Flüchtlinge in der Südtürkei beklagen dagegen das viel zu späte Eingreifen der amerikanischen Luftwaffe.

…aber auch für das Assad-Regime

Zufrieden mit den Angriffen auf die Hochburgen der IS-Jihadisten zeigte sich das Assad-Regime in Damaskus. Syriens Aussenminister Walid al-Muallim hatte vor dem Beginn der Luftschläge über seinen irakischen Amtskollegen eine entsprechende Vorwarnung von US-Aussenminister John Kerry erhalten. In Damaskus verkündete man daraufhin erleichtert, dass man jede internationale Bemühung, die zum Kampf gegen Terroristen beitrage, unterstütze. Den Kampf gegen den IS werde man allerdings nicht mit den USA, sondern mit Irak und seinen Verbündeten, also auch Iran abstimmen.

Die in den vergangenen Monaten vom IS attackierte syrische Armee wird durch das amerikanisch-arabische Eingreifen entlastet. Die Militäraktionen der Koalition werden das Assad-Regime zumindest mittelfristig stärken. Mit Genugtuung wurde in Damaskus auch zur Kenntnis genommen, dass neben den IS-Terroristen auch Ziele der bislang wenig bekannten Jihad-Gruppe Khorasan bei Aleppo und Idlib bombardiert wurden. Mit den Angriffen, bei denen offenbar mehr als 50 Terroristen ums Leben kamen, sollten Angriffe gegen die USA und andere westliche Interessen unterbunden werden.

Unklare Rolle jihadistischer IS-Rivalen

Khorasan kooperiert in Syrien mit der Nusra-Front, dem syrischen Ableger Al Qaidas. Gleichzeitig wird die Nusra-Front von den sogenannten moderaten syrischen Rebellen häufig als eine Art Speerspitze bei Offensiven gegen die Assad-Armee eingesetzt. Grössere Geländegewinne konnte die Nusra-Front zuletzt auf den Golanhöhen erzielen, wo gestern ein «verirrter syrischer Kampfjet von der israelischen Flugabwehr abgeschossen wurde.