Der Abzug äthiopischer Truppen beschert Somalia erneut blutige Kämpfe um die Macht. Als einziger Ausweg erscheint eine Verhandlungslösung mit den Islamisten. Zu deren Vertreibung waren die Äthiopier 2007 ins Land gerufen worden.
Mit dem Beginn des Abzugs äthiopischer Besatzungstruppen aus Somalia sind erneut heftige Kämpfe zwischen verschiedenen Islamisten-Fraktionen und Clan-Milizen alter Warlords ausgebrochen. Laut der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen haben sie in der zentralsomalischen Region Galgaduud in den vergangenen Tagen Dutzende Todesopfer gefordert. Vor allem seien aber erneut 45 000 bis 60 000 Menschen auf der Flucht.
Während vor den Küsten des Landes Marineeinheiten aus EU-Staaten, Russland, China und Indien versuchen, die Sicherheit ihrer Handelsflotten gegen somalische Piraten zu garantieren, wächst somit die Gefahr, dass sich der Alle-gegen-alle-Krieg in Somalia erneut verschärft.
Vor dem Abzug der Äthiopier hatten sich Vertreter unterschiedlicher Positionen in der Übergangsregierung einen heftigen Machtkampf geliefert. Der inzwischen zurückgetretene Übergangspräsident Abdullahi Jussuf Ahmed hatte versucht, seinen Ministerpräsidenten Nur Hassan Hussein aus dem Amt zu drängen, war aber am Widerstand des wiederum nicht repräsentativen Parlaments gescheitert. Nun soll dieses am 26. Januar einen neuen Präsidenten wählen.
Nachdem die Übergangsregierung Anfang 2007 das Regime der Islamischen Gerichtshöfe (UIC) mit Hilfe der von den USA unterstützten Invasoren aus Äthiopien gestürzt hatte, versuchte Premier Nur vor einem halben Jahr die Einsicht durchzusetzen, dass der Islamismus nicht militärisch zu besiegen sei. Er schloss mit der heute als gemässigt geltenden Islamisten-Fraktion einen Waffenstillstand. Dieser wurde jedoch nicht nur von Präsident Abdullahi in Frage gestellt. Den UIC-Islamisten erwuchs mit der Al-Shabaab-Miliz (Die Jungen) längst militante Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Diese von den USA als Terrororganisation eingestufte Miliz beherrscht bereits weite Teile Südsomalias und steht mit ihren Kämpfern vor Mogadiscio. Die Al-Shabaab-Miliz lehnt den Waffenstillstand ihrer gemässigten Konkurrenten ab.
Da sie nicht mehr mit dem militärischen Schutz der Invasoren aus Äthiopien rechnen kann, setzt die kopflose Übergangsregierung darauf, dass dieser Schutz nun von gemässigten Islamisten garantiert werde. Deren Kämpfer sollen inzwischen in Mogadiscio Stellungen übernommen haben, welche die Invasoren geräumt haben. Aus der innerislamischen Konkurrenz droht nun ein Bruderkrieg zu werden.
Mit dem Waffenstillstand zwischen Premier Nur und Sheikh Sharif, dem Chef der gemässigten Islamisten, war die Zahl der Sitze im sogenannten Parlament verdoppelt worden, um Platz für Sharifs Anhänger zu schaffen. Dessen Spekulation dürfte es sein, von dem Gremium zum nächsten Präsidenten gewählt zu werden, sollte es seinen Kämpfern gelingen, die militanten Islamisten vor Mogadiscio aufzuhalten. Allerdings gilt die Al-Shabaab-Miliz als die militärisch klar stärkste Fraktion in dem Bürgerkriegsland.
Sharif könnte deshalb auch versuchen, sich mit seinen Rivalen zu einigen. In Mogadiscio geht das Gerücht um, er wolle sich in Kairo mit Shabaab-Führer Sheikh Hassan Dahir Aweys treffen. Auch Premier Nur unterstütze eine Verhandlungslösung mit den extremistischen Islamisten.
Al Shabaab wiederum könnte an dieser Option interessiert sein, weil ihre Kämpfer, vor allem nördlich Mogadiscios, ihrerseits von einer neuen Miliz bedrängt werden. Unklar ist, ob hinter dieser Fraktion, die sich Ahlus Sunnah wal-Jamma nennt, ebenfalls Islamisten stehen oder alte Warlords, die zuvor die Übergangsregierung unterstützten.
Es mag Kopfschütteln auslösen, dass die einzige Option auf eine minimale Stabilisierung Somalias von einer Verhandlungslösung mit Islamisten abhängen soll. Dennoch gibt es Gründe, weshalb auch die internationale Gemeinschaft daran interessiert sein könnte.
Das 2007 gestürzte Regime der UIC-Islamisten war bis dato die einzige Kraft, welche in Somalia die Warlords in die Schranken gewiesen und die Piraterie glaubhaft bekämpft hatte. Die UIC hatte zwar die zivilen Freiheiten mit rigid-religiöser Herrschaft eingeschränkt. Dennoch genoss sie auch in der liberalen islamischen Bevölkerung Unterstützung, weil sie einen weitgehend gewaltfreien Alltag garantiert hatte.
Offen ist, ob Äthiopien eine Rückkehr der Islamisten an die Macht hinnähme. Seine Armee kam nicht nur als Stellvertreterin der USA im Kampf gegen den Terror ins Land. Addis Abeba wollte auch islamistische Ansprüche an das ölreiche Ogaden-Grenzgebiet zurückbinden. Noch stehen äthiopische Truppen im Land.