Kidnapping – ein kriminelles Gewerbe

Die Entführung eines Ostschweizer Tierpräparators und seiner zwei Begleiter wirft ein Schlaglicht auf schwelende Konflikte in dem Inselreich der Philippinen. Wie in vielen Ländern des Südens ist Kidnapping von Ausländern ein Gewerbe zwischen Terror und Armutskriminalität.

Drucken

Im Süden der Philippinen, auf dem Jolo-Atoll, spielt sich derzeit ein Drama ab, dessen Facetten erst schwer zu erkennen oder einzuordnen sind.

Der Ostschweizer Tierpräparator und sein Kollege aus den Niederlanden mögen der Ansicht gewesen sein, die Harmlosigkeit ihres Unterfangens – die Beobachtung des seltenen Nashornvogels – sei Schutz genug für ihre Person. Ein fataler Irrtum, weil Kidnapper nicht nach den Reisemotiven potenzieller Opfer fragen, sondern nach dem potenziellen Gewinn.

Finanzierung durch Menschenraub

Entführte Touristen sind meist Opfer ihres Wagemuts, der sich aus Unachtsamkeit oder aus Unkenntnis lokaler Begebenheiten in Krisenregionen nährt. Opfer sind aber Opfer, ihr Schicksal bewegt uns, besonders auch dann, wenn es sich um Landsleute handelt. Entführungen von weissen Touristen oder Geschäftsleuten sind in Ländern des Südens mit starkem sozialem Gefälle, ethnischen oder religiösen Konflikten rund um den Globus ein einträgliches Gewerbe, oft mit fast industriellen Ausmassen. Der Menschenraub dient der Finanzierung, sei es aus Armut erwachsener Kriminalität oder von terroristischen Gruppen, die sich als religiöse oder ethnische Befreiungsorganisationen verstehen.

Die moslemische Minderheit

Die Empörung über einen Menschenraub ruft schnell nach einer einfachen Erklärung, und sei es, um das Unerträgliche für Angehörige und Landsleute etwas erträglicher zu machen. Die philippinische Region, in der die zwei Europäer und ihr einheimischer Begleiter entführt worden sind, entzieht sich aber einfachen Erklärungen. Vielmehr bilden mögliche Motive und Hintergründe dort eine komplexe Realität. Die Philippinen sind ein mehrheitlich katholisches Land. 80 bis 85 Prozent der fast 89 Millionen Einwohner des südostasiatischen Inselreiches sind Katholiken. Vier bis fünf Prozent evangelische oder unabhängige Christen und rund 10 Prozent sind Moslems – deren Siedlungsgebiete vorwiegend in den südlichen Archipelen liegen.

Die Entführung des Ostschweizers hat auf dem Jolo-Atoll stattgefunden, das zum Aktionsgebiet zweier islamistischer Organisationen gehört: der Moro National Liberation Front (MNLF) und der Gruppe Abu Sayyaf. Die eine ist aus der andern hervorgegangen.

Die Al-Qaida-Filiale Abu Sayyaf

Die MNLF gilt heute aber als gemässigte Organisation, die sich für die Belange der moslemischen Autonomiegebiete vor allem auf Mindanao einsetzt. 1991 spaltete sich die Gruppe Abu Sayyaf aus Protest gegen die gemässigte Linie von der MNLF ab. Das erklärte Ziel der Abu Sayyaf ist es, die Christen aus dem Süden der Philippinen zu vertreiben. Die Gruppe gilt heute als Filiale des Terrornetzwerkes Al Qaida. Die Verbindungen zu den Jihadisten sind aus der Teilnahme philippinischer Moslems am Krieg in Afghanistan entstanden.

Weltweite Beachtung fand die Gruppe erstmals 1995. In einem Angriff auf die Stadt Ipil auf Mindanao zerstörten 200 Abu-Sayyaf-Militante das Zentrum des Ortes, raubten Banken aus und töteten über 50 Einwohner. Mit Dutzenden Geiseln, die man später ebenfalls massakriert auffand, zogen sie sich dann in die umliegenden Wälder zurück.

Abu Sayyaf lässt auch entführen

Raub, Erpressung und Entführung – vor allem von Ausländern – ist seither die Hauptfinanzierungsquelle der Abu Sayyaf. Auch die Entführung eines Schweizer IKRK-Delegierten und zwei weiterer Helfer vor drei Jahren sollte deren Finanzierung dienen. Dennoch ist es verfrüht, die MNLF oder die Gruppe Abu Sayyaf als direkte Täter im aktuellen Entführungsfall zu benennen. Die MNLF ist seit Jahren nicht mehr mit terroristischen Aktionen aufgefallen. Und die Abu Sayyaf entführt nicht nur, sie lässt auch entführen.

Geiseln verkauft?

Denkbar ist – weil der Süden der Philippinen ein Armutsgebiet ist –, dass die Kidnapper keine Islamisten, sondern auf Entführungen spezialisierte Kriminelle sind. Dann könnten die Kidnapper ihre Opfer der Abu Sayyaf «verkaufen» und diese übernähme die Erpressung der Angehörigen oder des Herkunftslandes der Opfer. Dafür spricht der Bericht des Fotografen Ivan Sarenas. Dem einheimischen Begleiter des Ostschweizers und des Holländers ist auf der Insel Tawi Tawi die Flucht aus den Händen der Entführer gelungen. Diese seien dann mit einem Schnellboot in Richtung Insel Jolo geflohen, die als Hochburg der Abu Sayyaf gilt. Walter Brehm