Afghanistan sucht die Nähe Indiens und löst damit in Pakistan helle Aufregung aus. Islamabad sieht sich zu Unrecht als Taliban-Freund angeprangert. Die Gefahr neuer Spannungen wächst.
BANGKOK. Lalit Mansingh, früherer Staatssekretär im indischen Aussenministerium, kann seine Genugtuung nicht verhehlen: «Nach Jahren der Ausgrenzung gilt Indien jetzt als Teil der Lösung des Afghanistan-Konflikts.» Anlass des öffentlich vorgetragenen undiplomatischen Jubels ist ein Besuch von Afghanistans Präsident Hamid Karzai, der in Neu- Delhi eine strategische Partnerschaft mit Indien unterzeichnet hat.
Damit hat die mehr als eine Milliarde Einwohner zählende Atommacht Indien zehn Jahre nach der Vertreibung der Taliban aus der afghanischen Hauptstadt Kabul einen Traum verwirklicht, der bisher am Einspruch der Nato und insbesondere der USA gescheitert war. Vor allem dem indischen Wunsch, mit Truppen am Hindukusch auszuhelfen, hatte der Westen stets einen Riegel vorgeschoben. Die Atommacht Pakistan, zwischen Indien und Afghanistan eingeklemmt, sollte nicht unnötig gereizt werden. Denn Islamabad galt bislang nicht nur als Teil des Problems im Krieg um Afghanistan, sondern wurde vom Westen auch als Teil der Lösung betrachtet.
«Wir haben ein Recht auf eine uns freundlich gesonnene Regierung in Afghanistan», beschreibt der frühere pakistanische General Ali Jan Orakzai, der zwei Jahre lang auch Gouverneur einer Grenzpro- vinz war, die Doktrin Islamabads, die mit der Annäherung Karzais an Indien ins Wanken gerät.
Ein Vertreter des pakistanischen Geheimdienstes ISI listet die Sorgen des Nachrichtendienstes in der folgenden Reihe auf: «Das grösste Problem ist die Wirtschaft. An zweiter Stelle folgt die Bedrohung durch Extremisten. Drittens müssen wir immer Indien im Auge behalten.»
Die «Bäumchen-wechsle-dich»-Politik der afghanischen Regierung löst deshalb helle Aufregung in Islamabad aus. Karzai versucht zwar noch, die Tür für zukünftige Gespräche mit Pakistan offen zu halten. Aber seine Linie könnte die Spannungen in ganz Südostasien verschärfen. Anlass für Afghanistans neue Liebe zu Indien ist der Mord an dem früheren afghanischen Präsidenten Burhanuddin Rabbani. Zwar sollen zwei Taliban-Funktionäre den Besuch des Selbstmordattentäters eingefädelt haben, der dann Kabuls Beauftragten für Friedensverhandlungen ermordete.
Die Karzai-Regierung beschuldigt aber Pakistan, von den Anschlagplänen gewusst zu haben. Islamabad blockiere systematisch alle Versuche der afghanischen Regierung, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen. Pakistan reagiert auf den Vorwurf mit gewohnter Empörung. Aber auch die USA werfen Pakistans Sicherheitskräften vor, gemeinsame Sache mit den afghanischen Regierungsgegnern zu machen.
Die öffentliche Brüskierung Islamabads folgt auf eine Serie von Absagen der Taliban auf Kabuls Versuche, mit ihnen in Friedensverhandlungen einzutreten. Auch der Taliban-alliierte Warlord Gulbuddin Hekmatyar, komfortabel im überwiegend von Militärs bewohnten Viertel der pakistanischen Grenzstadt Peshawar untergebracht, zeigte Karzai die kalte Schulter, obwohl einige seiner politischen Gefährten in Kabuls Präsidialamt die Fäden ziehen.
Siraj Haqqani, der geheimnisumwitterte Chef des mit den Taliban verbündeten Haqqani-Netzwerkes aus dem Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, erklärte gegenüber dem PashtuProgramm des britischen Senders BBC: «Seit 2001 bitten alle möglichen Regierungen und Geheimdienste die Taliban, die Allianz mit uns aufzulösen. Dafür bieten sie ihnen, Teil der afghanischen Regierung zu werden.»
Westliche Diplomaten sind überzeugt, Verhandlungen Kabuls mit den Taliban hätten nur Aussicht auf Erfolg, wenn diese sich dem Einfluss Pakistans entzögen. Kurze Zeit kursierten deshalb Gerüchte, die Nato habe die Provinzen Kunar und Nuristan unter anderem geräumt, um verhandlungswilligen Taliban dort eine Zuflucht in Afghanistan zu gewähren. Doch inzwischen wird dieses Gebiet von Anhängern der Haqqani-Fraktion und mit ihnen verbündeten pakistanischen Taliban beherrscht.