ISTANBUL: Erdogan legt nach

Der türkische Staatschef teilt verbal scharf gegen Deutschland und die Niederlande aus. Erdogan bringt sogar das Massaker von Srebrenica ins Spiel.

Gerd Höhler, Athen
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Gerd Höhler, Athen

Eine Steigerung scheint kaum mehr vorstellbar, aber der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan treibt im Streit um türkische Politikerauftritte im Ausland die Eskalation immer weiter voran. Jetzt nimmt er Bundeskanzlerin Merkel auch persönlich unter Beschuss.

An Appellen zur Mässigung gibt es keinen Mangel, aber zumindest in Ankara scheinen sie nicht viel zu bewirken. Nachdem EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn vorgestern die Türkei aufgerufen hatte, «auf überzogene Aussagen und Handlungen zu verzichten», konterte das türkische Aussenministerium: Die EU-Erklärung sei «ohne Wert». Sie fördere «Ex­tremismus, Ausländerfeindlichkeit und antitürkische Gefühle».

Gestern feuerte Recep Tayyip Erdogan bei einem Auftritt in Ankara neue verbale Salven auf die Niederlande ab. Das Land habe am vergangenen Samstag mit dem Landeverbot für den türkischen Aussenminister und der Abschiebung der Familienministerin «Staatsterrorismus» demonstriert, sagte Erdogan. In derselben Rede machte er die Niederlande für das Massaker im serbischen Srebrenica verantwortlich: «Wir kennen Holland und die Holländer noch vom Massaker in Srebrenica», sagte Erdogan. «Wir wissen, wie verdorben ihre Natur und ihr Charakter sind, seit sie dort 8000 Bosniaken ermordet haben.»

Das Massaker wurde im Juli 1995 von serbischen Truppen verübt. Rund 400 niederländischen Blauhelm-Soldaten, die in Srebrenica stationiert waren, gelang es nicht, das Kriegsverbrechen zu verhindern. Der niederländische Premierminister Mark Rutte bezeichnete Erdogans Vorwürfe als «hysterisch» und «unglaublich».

«Verehrte Merkel, du unterstützt Terroristen!»

Bereits am Montagabend hatte Erdogan in einem Fernsehinterview Deutschland und Bun­-deskanzlerin Angela Merkel persönlich scharf attackiert. «Schande über dich», rief Staatschef Erdogan erregt und fuhr fort, «verehrte Merkel, du unterstützt Terroristen!» Er kritisierte die Bundeskanzlerin dafür, dass sie die Niederlande gegen Nazi-Vorwürfe verteidigt hatte: «Wir wissen, dass du genau so bist wie sie (die Niederländer, d. Red.), wir haben nichts anderes erwartet.» So wie der niederländische Premier Rutte «Hunde und Pferde auf türkische Demonstranten gehetzt» habe, attackiere auch Angela Merkel die Türken «mit ihren Hunden und Pferden».

Mit den sich ständig steigernden Angriffen gegen europäische Staaten und Politiker verlagert Erdogan den türkischen Wahlkampf mehr und mehr auf die europäische Bühne. Am 16. April sollen die türkischen Wähler in einer Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung entscheiden, die mit der Einführung eines Präsidialsystems Erdogan eine nahezu unumschränkte Machtfülle geben würde.

Bei dem Referendum sind auch rund 3 Millionen Auslandstürken wahlberechtigt. Die grösste Gruppe von ihnen, etwa 1,4 Millionen, lebt in Deutschland. Für Recep Tayyip Erdogan sind sie ein wichtiges Reservoir. Denn unter ihnen hat er besonders viele Anhänger.

Das zeigte sich schon bei der Präsidentenwahl 2014. Damals erhielt Erdogan im eigenen Land 52,2 Prozent der Stimmen, in Deutschland hingegen fast 69 Prozent. Auf die Stimmen dieser Anhänger könnte es jetzt für Erdogan ankommen, denn Meinungsumfragen deuten auf einen knappen Ausgang des Verfassungsreferendums hin. Die türkische Regierungspartei AKP und ihr Auslandsableger, die Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD), planen deshalb in den nächsten Wochen mindestens 15 Kundgebungen in Deutschland, um für ein Ja beim Referendum zu werben.

Saarland will Auftritte verbieten

Damit sind weitere Kontroversen programmiert. Als erstes Bundesland will das Saarland Auftritte ausländischer Politiker verbieten. «Innertürkische Konflikte haben in Deutschland nichts zu suchen», sagte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gestern gegenüber den Medien. «Wahlkampfauftritte, die den inneren Frieden in unserem Land gefährden, gehören verboten», urteilte sie.

Ein solches Verbot könnte nach dem Aufenthaltsgesetz erfolgen. Anders als das Saarland lehnt Nordrhein-Westfalen ein generelles Auftrittsverbot für türkische Politiker ab. «Wir werden auch weiterhin Auftritte von türkischen Regierungsmitgliedern im Einzelfall betrachten», teilte die Düsseldorfer Staatskanzlei gestern mit. Ob auch Erdogan persönlich, wie in früheren Wahlkämpfen, im Ausland auftreten wird, ist noch unbekannt.