Im Endkampf um Mossul setzt die Terrormiliz Islamischer Staat höchstwahrscheinlich chemische Kampfstoffe ein.
Sehr viel schneller als erwartet rücken irakische Regierungstruppen auf die Altstadt von Mossul vor. Der Widerstand des Islamischen Staates (IS) ist geringer als erwartet. Bereits vor sechs Tagen soll der selbst ernannte «Kalif» der Terrormilizen in einer «Abschiedsrede» die Niederlage eingestanden haben und seine Kämpfer zum «Märtyrertod» aufgefordert haben. Überprüfen lassen sich entsprechende irakische Medienberichte nicht.
Es mehren sich jedoch ganz konkrete Hinweise, dass der IS in seinem zunehmend aussichtsloseren Abwehrkampf auch Giftgas einsetzt. So wurden in einem Krankenhaus der Kurdenhauptstadt Erbil 15 Menschen behandelt, welche nach Erkenntnissen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in den ersten zwei Märztagen in Mossul chemischen Kampfstoffen ausgesetzt waren. «Sie haben Blasen auf der Haut. Sie husten, müssen sich übergeben oder haben gerötete Augen», sagte IKRK-Sprecherin Sara al-Zawqari.
Hautblasen könnten ein Indiz für den Einsatz von Senfgas sein, das die Armee von Saddam Hussein während des ersten Golfkrieges (1980–1988) in gewaltigen Mengen zunächst gegen iranische Streitkräfte und später auch gegen irakische Kurden einsetzte. An den Spätfolgen der C-Waffen-Einsätze leiden noch heute mehr als eine Million Iraner. 200 000 Iraner und mehr als 40 000 irakische Kurden kamen bei Angriffen mit Senf- und Nervengas oder einer Kombination der beiden Kampfstoffe ums Leben.
Nach dem Sturz von Saddam Hussein, der C-Waffen-Einsätze gegen «persische Schädlinge» sogar öffentlich gerechtfertigt hatte, galt der Irak als «vollständig abgerüstet». Von den sichergestellten Chemiewaffen, behauptete die US-Armee nach der Invasion von 2003, gehe keine Gefahr mehr aus. Ein Jahrzehnt später stellte sich jedoch heraus, dass angeblich erodierte Sprengkörper vom IS und von anderen Dschihadistengruppen wiederverwendet wurden. Nach Informationen der «New York Times» soll ein Spezialkommando der US-Streitkräfte vor einem Jahr einen Experten für chemische und biologische Kampfstoffe gefangen genommen haben, der früher für Saddam Hussein arbeitete und sich, wie viele Offiziere des Ex-Diktators, später dem IS angeschlossen hatte. Bei Vernehmungen habe der Mann detailliert geschildert, wie der IS seine Granaten mit Senfgas abfülle.
Einwandfrei bestätigt ist auch dieser Bericht nicht. Die Blasen auf der Haut der irakischen Zivilisten, welche sich langsam mit Flüssigkeit füllen und entsetzlich schmerzen, sind aber Realität. Die Verätzungen zeigen, dass der IS im Endkampf um Mossul nun auch zu seinem womöglich letzten «Abwehrmittel» greift. Auch während des ersten Golfkrieges setzte die irakische Armee ihre chemischen Kampfstoffe immer dann ein, wenn die iranische Armee mit konventionellen Waffen nicht mehr aufzuhalten war.
Sollte sich dieses entsetzliche Muster jetzt in Mossul wiederholen, dann steht im Kampf um die Tigris-Metropole das Schlimmste vielleicht noch bevor. Die Terroristen sind seit Wochen umzingelt und von jeglichem Nachschub abgeschnitten. Einen Hoffnungsschimmer gibt es: Immerhin ist Senfgas im Kampf um die engen Gassen in der Altstadt von Mossul kein geeignetes Abwehrmittel.
Michael Wrase, Limassol