In Guantánamo brodelt es

Im amerikanischen Militärgefängnis auf Kuba ist inzwischen mehr als die Hälfte der Gefangenen in einem Hungerstreik. Sie protestieren damit gegen ihre aussichtslose Lage.

Urs Bader
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«Schliesst Guantánamo»: Demonstration in New York. (Bild: epa/Justin Lane)

«Schliesst Guantánamo»: Demonstration in New York. (Bild: epa/Justin Lane)

Im Schatten des Bombenattentats von Boston sind brisante Meldungen aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo unbeachtet geblieben. Dabei hat das Attentat zu einem politischen Reflex geführt, der geradezu an Guantánamo erinnern musste.

Vor allem republikanische Politiker haben sofort verlangt – allerdings ohne Erfolg –, der noch lebende mutmassliche Täter sei als «feindlicher Kämpfer» einzustufen, um ihn unbefristet und ohne rechtsstaatlichen Schutz einsperren zu können. Rudy Giuliani, während der Terrorattentate vom 11. September 2001 Bürgermeister der attackierten Stadt New York, sagte nun: «Diese jungen Männer sind in einen Krieg eingetreten, in einen Krieg gegen uns.» Deshalb müsse Dschochar Zarnajew wie ein Terrorist behandelt werden, deshalb sei politische Korrektheit fehl am Platz.

So oder ähnlich wurde auch nach den Terroranschlägen von 2001 argumentiert, was ab Januar 2002 zur Einrichtung des Militärgefängnisses Guantánamo führte. Seither waren und sind dort Terroristen, mutmassliche Terroristen, aber auch Unschuldige inhaftiert.

Gefangene zwangsernährt

In dem Lager herrscht derzeit Hochspannung, weil sich immer mehr der noch 166 Insassen einem Hungerstreik angeschlossen haben. Nach Angaben eines Militärsprechers vom Montag sind inzwischen 100 von ihnen im Hungerstreik. Mittlerweile würden 21 Häftlinge zwangsernährt, fünf im Spital. In Lebensgefahr sei aber niemand. Anwälte von Guantánamo-Insassen sprechen bereits seit Beginn des Protests Anfang Februar von rund 130 Hungerstreikenden. Am Wochenende ist zusätzliches medizinisches Personal ins Lager entsandt worden, rund 40 Angehörige der US-Navy, unter ihnen Krankenschwestern und Spezialisten. Dies erklärte ein Militärsprecher. Der Protest entzündete sich am 6. Februar nach Zellendurchsuchungen. Das Wachpersonal ging Hinweisen nach, Häftlinge würden Koran-Exemplare zum Schmuggel nutzen. Dem Personal wurde danach vorgeworfen, dabei den Koran «unwürdig behandelt» zu haben.

Wie Anwälte von Gefangenen erklärten, geht es bei dem Hungerstreik im Kern jedoch um die aussichtslose Lage der Häftlinge, um die seit elf Jahren andauernde unbegrenzte Inhaftierung, teils ohne Anklage und ohne Prozess.

Es gibt seit einiger Zeit auch keine Freilassungen oder Abschiebungen in Drittstaaten mehr, obwohl über 80 der Gefangenen offiziell als unschuldig gelten. Im US-Aussenministerium ist die Abteilung geschlossen worden, die sich um die Überstellung Unschuldiger in andere Länder kümmern musste. Argumentiert wird vor allem damit, dass die Freilassung oder Überstellung zu gefährlich sei, weil sich die Freigelassenen Terrorgruppen anschliessen könnten. Im übrigen drängen sich auch kaum Länder vor, die Guantánamo-Häftlinge aufnehmen wollen.

«Willkürliche Gefangenschaft»

Obama will sich nun aber weiter für die Schliessung des Lagers einsetzen, wie er gestern an einer Pressekonferenz sagte. Das Weisse Haus prüfe alle Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen, auch gegen den Widerstand des Kongresses. «Guantánamo ist nicht notwendig, damit Amerika sicher bleibt», sagte Obama. Ob sich die Schliessung innenpolitisch durchsetzen lässt, ist fraglich, erst recht nun nach Boston. International wird aber weiter Druck gemacht.

Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hatte nach Ausbruch des Hungerstreiks die USA erneut aufgefordert, das Gefangenenlager zu schliessen. Es sei keine Überraschung, dass die Insassen auf so verzweifelte Massnahmen wie den Hungerstreik zurückgriffen. «Die unbegrenzte Inhaftierung vieler Gefangener kommt einer willkürlichen Gefangenschaft gleich und verletzt ganz klar das Völkerrecht», sagte Pillay. Die USA hätten für etwa die Hälfte der 166 Gefangenen einen Transfer in ihr Herkunfts- oder in ein Drittland vorgesehen. Die betreffenden Insassen befänden sich aber immer noch in Haft.

Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) fordert eine Lösung. «Die USA müssen dringend alle hängigen humanitären, rechtlichen und politischen Fragen bezüglich der Inhaftierten in Guantánamo lösen», sagte IKRK-Präsident Peter Maurer nach einem viertägigen Besuch in Washington. Dazu zählten auch jene Personen, die nicht mehr als Gefahr gälten und deren Inhaftierung ungerechtfertigt sei.