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Vergangene Woche haben die türkischen Behörden den Fernsehprediger Adnan Oktar zusammen mit rund 180 seiner Anhänger festgenommen. Türkische Medien berichten, unter den Opfern befinde sich auch ein heute 15-jähriges Mädchen aus der Schweiz.
Es ist 3 Uhr morgens. Das Telefon klingelt. Am anderen Ende ist Mehdi, der selbst ernannte «Erlöser». Er verlangt von seiner Anhängerin, dass sie ihre zehnjährige Tochter S. M. aus dem Bett reisst, in aufreizende Kleidung steckt, grosszügig schminkt und zu ihm ins Studio des türkischen Fernsehsenders A9 in Istanbul bringt.
Die Szene, die auch einem Psychothriller entspringen könnte, ist Teil der Aussage, die das heute 15-jährige Mädchen S. M. am Freitag, 13. Juli, gegenüber den Istanbuler Behörden gemacht hatte. Gemäss mindestens fünf verschiedenen türkischen Tageszeitungen sowie der türkischsprachigen Schweizer Zeitung «Post Gazetesi» sei das in der Schweiz wohnhafte Mädchen letzte Woche ohne Zögern in die Türkei geflogen, nachdem es von der Verhaftung des Sektenführers Adnan Oktar erfahren hatte. Wo in der Schweiz das Opfer lebte, ist bisher nicht bekannt.
Die Eltern von S. M. sollen sich getrennt haben, als sie zwei Jahre alt war. Als sie neun wurde, soll die Mutter ein Facebook-Profil in ihrem Namen erstellt und die Anhänger von Oktars Sekte als Freunde hinzugefügt haben. Sie teilte auf Facebook Fotos von S. M. in aufreizender Kleidung, unter anderem auch im Bikini. Als S. M. zehn Jahre alt war, soll sie zusammen mit ihrer Mutter nach Istanbul eingeladen worden sein. «Ich lebte in einem Haus in Cengelköy (Istanbul) zusammen mit zahlreichen Anhängern von Adnan Oktar. Ich war die Jüngste im Haus. Er nannte mich Liebling. Die anderen Männer durften mich nicht anfassen», sagte die 15-Jährige in ihrer Aussage, berichteten die Zeitungen «Aksam» und «Posta» am Donnerstag. «Flüstere mir ins Ohr, was durch deinen Kopf geht. Sag mir, dass du mich willst», soll Oktar sie aufgefordert haben. Er habe das Mädchen gefragt, ob es ihn will, und ob es daran glaube, dass er der Mehdi sei.
Die Mutter habe ihre Tochter, die sich wehrte und Oktar nicht treffen wollte, viele Male geschlagen. «Du musst alles machen, was Adnan Oktar von dir will. Erzähl ihm, dass du keinen Freund hast und dass du keinen Kontakt zu deinem Vater hast. Sitze aufrecht, schlag die Beine übereinander, und presse die Lippen zusammen, wenn du mit ihm redest», soll die Minderjährige in ihrer Aussage die Anweisungen ihrer Mutter zitiert haben. «Meine Tochter wird den Mehdi heiraten», habe die Mutter sich unter ihren Sektengenossen gerühmt.
S. M. und ihre Mutter sollen nach einer Weile in die Schweiz zurückgekehrt sein. Oktar habe aber nicht auf seinen «Liebling» verzichten wollen und soll seine Anhänger in die Schweiz gesendet haben, um S. M. zurückzuholen. Als sie 13 Jahre alt war, habe der Sektenführer verlangt, dass die Tochter mit ihm in seiner Villa in Kandilli in Istanbul lebt. Für die Mutter eine Ehre, die nur wenigen ausgewählten Sektenmitgliedern gewährt wird. Hier soll das Mädchen vom Sexkult-Leader, der unter dem Pseudonym Harun Yahya Bücher gegen die Evolutionstheorie veröffentlicht hat, mit «Händen und durch Worte» sexuell missbraucht worden sein, wie «Posta» berichtet.
Die jungen Mädchen und Frauen, an denen sich Harun Yahya vergriffen haben soll, sprechen in ihren Aussagen stets von sexuellem Missbrauch und nicht etwa direkt von Vergewaltigung. Dies aber nicht, weil er «gnädig» gewesen wäre, sondern wohl deshalb, weil Oktar aufgrund eines seit vielen Jahren unbehandelten Leistenbruchs impotent sein soll.
Ceylan Özgül, eine ehemalige Anhängerin der Sekte, hat am Montag in der Sendung «Teke Tek» gegenüber dem Moderator des Senders Habertürk erzählt, dass der Fernsehguru wegen des unbehandelten Leistenbruchs unter vielen gesundheitlichen Beschwerden leide, darunter Impotenz. «Um seine Erkrankung zu verstecken, liess sich Oktar in seiner TV-Sendung fast ausschliesslich von der Brust an aufwärts filmen», sagte die 38-Jährige, die erst nach mehreren Fluchtversuchen entkommen konnte.
Tatsächlich ist auf Aufnahmen seiner Verhaftung zwischen Oktars Beinen eine fussballgrosse Wölbung zu erkennen. Auf die Frage, in welcher Art sich der Sektenführer an den Ausschweifungen der «Sexgruppe» innerhalb der Sekte beteiligte, antwortete Özgül: «Er interessierte sich sehr für die sexuellen Aktivitäten seiner Anhänger, konnte sich aber wegen seiner Impotenz nur beschränkt daran beteiligen.»