Ein Rückschlag mit Folgen für die französische Regierung: Ohne den linken Flügel der sozialistischen Fraktion hat sie plötzlich keine Mehrheit mehr in der Nationalversammlung.
PARIS. Ach, wie schön war sie doch, die Zeit der «Unité nationale», der nationalen Einheit nach den Attentaten auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo». Das dürfte sich heute François Hollande auch ohne jeden Zynismus sagen. Mehr als einen Monat lang spielte er die Rolle des omnipräsenten Landesvaters, und er spielte sie gut: Seine Sympathiewerte schnellten nach oben, während die Nation trauerte und verängstigt Halt suchte.
Jetzt meldet sich der politische Alltag zurück – und der ist weniger gut. Die Zeitung «La Dépêche» attestiert der Regierung eine «brutale Landung nach der Post-Terror-Waffenruhe». Und Nicolas Sarkozy, Chef der oppositionellen bürgerlichen UMP, freute sich via Twitter, Frankreich habe «keine Parlamentsmehrheit und damit keine Regierung» mehr.
Dahinter steckt natürlich viel Wunschdenken. Immerhin mussten Hollande, sein Premierminister Manuel Valls und ihr junger Star-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron am Dienstag einsehen, dass sie für ein zentrales Wirtschaftsreformgesetz womöglich keine Parlamentsmehrheit mehr zusammenbringen würden. Für diesen Fall bietet die von General de Gaulle formulierte Verfassung einen nicht sehr eleganten Ausweg an: Der Paragraph 49 erlaubt es der Regierung, ein Gesetz ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchzubringen, wenn kein Misstrauensantrag eingereicht wird.
Dieser seltsame und hochkomplizierte Mechanismus, unter Juristen etwas einfacher «die Keule» genannt, wurde im 20. Jahrhundert sehr oft angewandt. Da er eine «Demokratieverweigerung» sei, wie der frühere Sozialistenchef Hollande lauthals geschimpft hatte, kam er aber mit der Zeit aus der Mode. Das letzte Mal wurde diese «Brutalität» (Hollande) im Jahre 2006 durch die rechte Regierung angewandt.
Mittlerweile im Elysée gelandet, muss der Präsident nun den Paragraph 49 selbst aus dem Hut zaubern, um eine schmerzliche Niederlage zu vermeiden. Denn das sogenannte Macron-Gesetz stiess auf der Linken auf heftigen Widerstand. Es enthält ihrer Ansicht nach zahlreiche «ultraliberale» Massnahmen wie etwa die Ausweitung der Sonntagsarbeit.
Die Vertrauensabstimmung, die nun nach dem Rückzug der Abstimmungsvorlage im Parlament von der Opposition beantragt wurde, ist für die Hollande-Regierung kaum eine Gefahr: Zu ihrem Sturz ist eine absolute Mehrheit von 289 Stimmen nötig, da die leeren Stimmzettel nicht abgerechnet werden. Die Abweichler wollen sich wie auch die Grünen zwar enthalten, aber nicht gegen die Regierung stimmen. Die konservative UMP, die Zentrumspartei UDI, der rechtsextreme Front National und die Linksfront inklusive Kommunisten kommen aber zusammen nur auf 244 Stimmen.
Das Macron-Gesetz wird die Regierung aber nach dem Senat bald von neuem der Nationalversammlung vorlegen müssen. Bis dann werden Hollande und Valls alles daransetzen, den widerspenstigen Linksflügel ihrer Partei zu zähmen. Scheitern sie dabei, wird es für Hollande eng. Dann wird er seinen – schon heute eher zaghaften – Reformeifer weiter zügeln müssen.