Berliner Mauer Die Menschen sind empört, doch die Politiker wiegeln ab. Am 13. August 1961 beginnt die DDR mit dem Bau einer Mauer, die zum Symbol des Kalten Krieges werden wird. Rolf App
Der Zeitpunkt ist gut gewählt. US-Präsident John F. Kennedy segelt vor Hyannis Port, sein Aussenminister Dean Rusk besucht ein Baseballspiel. Der englische Premier Harold Macmillan geht in Schottland auf die Grauhuhnjagd, Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle erholt sich in Colombey-les-Deux-Eglises. Und der Westberliner Bürgermeister Willy Brandt ist auf Wahlkampftour in Westdeutschland. Seine Stadt bereitet sich auf einen schönen Sommersonntag vor. Es ist der 13. August 1961.
Nur im Osten ist was los. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die frühere deutsche Hauptstadt geteilt – wie das ganze Land. Die Siegermächte UdSSR, USA, England und Frankreich haben es in vier Zonen unterteilt. Mit der Stadt, die mitten im russisch beherrschten Ostteil des Landes liegt (siehe Karte), verfahren sie ebenso. Die Russen haben begonnen, den Osten zu einem eigenen Staat aufzuwerten, die DDR. Im Westen bildet sich die BRD. Der Osten baut Grenzbefestigungen, nur in Berlin ist noch alles offen. Tausende pendeln jeden Tag hin und her. Bis zu diesem 13. August 1961.
Schon Tage vorher ist die Miliz in Schulhäusern einquartiert und gegenüber ihren Familien zum Stillschweigen verdonnert worden. Ebenso die Lastwagenfahrer, die grosse Mengen Stacheldraht in die Depots bringen. Um 2 Uhr morgens wird Alarm ausgelöst, 40 000 Volkspolizisten und Soldaten beziehen Stellung und beginnen an der Sektorengrenze mit dem Ausrollen des Stacheldrahts. Es ist eine Kommandoaktion im grossen Stil. 193 Strassen werden abgeriegelt, 12 U- und S-Bahn-Linien unterbrochen, 48 S-Bahn-Höfe gesperrt.
Fast im Minutentakt laufen im Polizeipräsidium am Alexanderplatz die Meldungen ein. Um 4.25 Uhr meldet der Stützpunkt in Treptow Schüsse, später stellt sich heraus: Es war der Stadtförster auf Kaninchenjagd. Um 6 Uhr morgens erwacht Berlin in einer neuen Zeit, die ostdeutsche Republik ist zur geschlossenen Gesellschaft geworden.
Am Brandenburger Tor fehlt Stacheldraht. Willy Brandt, noch in der Nacht alarmiert, trifft dort um 9.30 Uhr ein. Empörte Menschen sammeln sich dies- und jenseits der Absperrungen.
Was jetzt geschieht, das lässt sich gut beobachten vom Haus der Schweizer Delegation aus, die fast unmittelbar an der Grenze liegt. «Nur mit Mühe konnten Hundertschaften der Westberliner Polizei die aufgebrachte Menge davon abhalten, die ostdeutschen Stacheldrahtverhaue und Strassensperren zu stürmen», kabelt der Delegationschef nach Bern. An verschiedenen Stellen seien Volkspolizisten verprügelt oder mit Steinen beworfen worden. Sie hätten zwar Waffen, aber keine Munition gehabt.
Im Osten sind die Menschen verzweifelt. Der Schriftsteller Günter de Bruyn ist von früh bis spät unterwegs, «als käme es darauf an, Trauer, Wut und Verzweiflung bis zu einem Zustand zu steigern, der es mir unmöglich machen sollte, die gewaltsame Teilung der Stadt jemals als normal zu empfinden». Er hofft, «Spuren schlechten Gewissens in den Augen der Wärter entdecken zu können», findet aber «auf beiden Seiten nur Aufgeregtheit und Angst».
Viele versuchen zu flüchten, und vielen gelingt es auch noch in der Anfangszeit. Doch dann wird der Stacheldraht durch eine doppelte Mauer ersetzt, zwischen der ein Todesstreifen verläuft. Die Grenzwacht erhält Munition und einen Schiessbefehl, 239 Flüchtende finden so den Tod, der letzte im Februar 1989, neun Monate bevor die Mauer fällt. Nach bleiernen 28 Jahren, 2 Monaten und 27 Tagen. Der immer schwerer zu überwindende Ring um Westberlin hat eine Gesamtlänge von 155 Kilometern.
Zum ersten Mal in der Geschichte versucht hier ein Land, mit einer Mauer seine eigene Bevölkerung einzusperren. Durchaus mit Grund: Das Leben im Sozialismus ostdeutscher Prägung ist hart, im Westen setzt ein kleines Wirtschaftswunder ein. Tausende verlassen zuletzt jeden Tag die DDR.
So gibt denn Kremlchef Nikita Chruschtschow dem Drängen des ostdeutschen Parteichefs Walter Ulbricht nach und stimmt dem Mauerbau zu. Mit Drohungen hat er über Jahre den Westen beunruhigt und wird es weiter tun. Jetzt sagt Kennedy: «Besser eine Mauer als ein Krieg.» Und auch England und Frankreich reagieren moderat. Die «Bild»-Zeitung aber schreibt: «Der Osten handelt – was tut der Westen? DER WESTEN TUT NICHTS!»