Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Marokko hat die gemässigte islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) am meisten Sitze gewonnen, nämlich 107 von insgesamt 395 Sitzen.
MADRID. Nach dem sich abzeichnenden Sieg der Islamisten knallten nicht die Korken, sondern die Partei spendierte eine Runde Tee. Der Generalsekretär der Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei, Abdelilah Benkirane, jubelte: «Das Ergebnis ist noch besser als erwartet.» Laut dem Endergebnis, welches das Innenministerium gestern abend bekanntgab, wurde die PJD zwar stärkste Partei, braucht zum Regieren aber Partner. Wenn die Bildung einer tragfähigen Koalition gelingt und König Mohammed VI. mitspielt, könnte somit nach Tunesien auch Marokko einen islamistischen Regierungschef bekommen.
Die Parlamentswahl galt als Test für jene Reformen, mit denen König Mohammed versucht, die auch in seinem Land wachsenden Proteste zu beruhigen. Im Sommer hatte er eine Verfassungsreform beschliessen lassen, mit der Regierung und Parlament mehr Befugnisse bekommen und die bisherige Allmacht des Monarchen leicht eingeschränkt wird. So kann der König nun nicht mehr willkürlich einen Regierungschef bestimmen, sondern muss diesen aus der Reihe der stärksten Parlamentsfraktion ernennen.
Auch wenn sich die Islamisten am Wochenende optimistisch gaben, dass sie den künftigen Ministerpräsidenten stellen werden, war zunächst noch unsicher, ob ihnen dies tatsächlich gelingen wird. «Wir sind für die Kooperation mit anderen Parteien offen, um für das Wohl des Landes zu arbeiten», sagte ein PJD-Sprecher. Die bisherige Regierungspartei, die konservative Istiqlal des jetzigen Ministerpräsidenten Abbas el Fassi, bot sich bereits als Partner an. Die PJD, die ähnlich wie Tunesiens erfolgreiche Islamisten als gemässigte religiöse Partei gilt, hat sich den Kampf gegen Korruption, Ungerechtigkeiten und für weitere Demokratisierung auf die Fahne geschrieben.
Zwar haben die Islamisten als Einzelpartei die meisten Stimmen erhalten, doch eine vom König favorisierte Acht-Parteien-Koalition namens «Allianz für Demokratie» hat gemäss gestern bekanntgewordenen Zahlen ebenfalls über 100 Parlamentssitze erobert. Ein Sprecher dieser gegenüber dem König loyalen Allianz, in der die Zentrumspartei RNI des bisherigen Wirtschaftsministers Salaheddine Mezouar und die monarchistische PAM den Ton angeben, sprach von einem «Sieg für die Demokratie». Jetzt seien mehrere Koalitionen möglich, «um die nächste Regierung zu bilden».
Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben von Innenminister Taib Cherqaoui bei 45,4 Prozent. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass von den 32 Millionen Marokkanern nur knapp 14 Millionen im Wählerverzeichnis eingetragen waren, weitere acht Millionen im wahlfähigen Alter hatten sich nicht registriert. In der Wahl von 2007 hatten 37 Prozent ihre Stimme abgegeben. Die Protestbewegung «20. Februar», die auch gestern auf die Strasse ging und «echte demokratische Reformen» forderte, hatte zum Wahlboykott aufgerufen.