Japans grösster Atomkonzern Tepco hat versucht, das Ausmass der Schäden im AKW Fukushima nach der Katastrophe vom 11. März 2011 zu verschleiern. Der nun publizierte Bericht einer Untersuchungskommission geht aber auch mit der Regierung hart ins Gericht.
TOKIO. Der offizielle Fukushima-Report – gestern vorgelegt – prügelt den Sack, meint aber den Esel. Er kommt zwar zum Schluss, die unmittelbare Schuld am atomaren Beinahe-GAU trage die Verlogenheit und Unfähigkeit der Tepco-Manager. Die meisten der 450 Seiten beschäftigen sich aber mit dem miserablen Krisenmanagement der Regierung unter dem damaligen Premier Naoto Kan. Die Öffentlichkeit sei über den Ernst der Lage nur nach und nach informiert und die Gefahr sei systematisch heruntergespielt worden, um den Mythos von der angeblichen Ungefährlichkeit der Atomenergie am Leben zu halten.
Der Ausschussvorsitzende forderte in seinem Fazit, das Desaster als Mahnung zu sehen, «dass menschliche Denkweise fehlerhaft sein kann». Nicht aus Unkenntnis – so der Rapport – hätten Regierung und Tepco die Katastrophe nicht verhindert, sondern weil sie weder Zeit noch Geld für Sicherheitsmassnahmen aufwenden wollten. Die Bedrohung durch einen Tsunami sei heruntergespielt worden. Zudem hätten sich Regierungschef Kan und Tepco-Manager gegenseitig behindert. Auch die Atomaufsichtsbehörde Nisa habe als «zahnlose Dienststelle» eklatant versagt, kontrollierte weder kompetent noch effizient, urteilen die zehn unabhängigen Experten.
Zu ähnlichen Erkenntnissen war Anfang Juli ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gekommen. Sein Urteil: Die Katastrophe von Fukushima wäre vermeidbar gewesen, wenn nicht Betreiberfirma Tepco, Regierung und staatliche Atomaufsicht sich ihre Unfähigkeit und Schlamperei gegenseitig nachgesehen hätten. Die Katastrophe sei zwar zunächst vom Erdbeben und dem Tsunami ausgelöst worden. Dennoch könne das folgende Desaster im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi nicht als eine Naturkatastrophe angesehen werden. «Es war viel mehr ein schwerwiegendes Desaster von Menschenhand.»
Die Zerstörung der Reaktoren und der Kollaps der Kühlsysteme seien vorhersehbar und vermeidbar gewesen. Alle Beteiligten hätten gewusst, dass dieses AKW an der Pazifikküste nicht den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen entspreche. Es war sogar bekannt, dass Fukushima Daiichi einem massiven Erdbeben mit nachfolgenden Springfluten von 15 bis 30 Metern Höhe nicht standhalten könne. Die sechs Atommeiler wurden nur zehn Meter über der Küste gebaut, die immer wieder Tsunami erlebt hatte, drei davon in den letzten 120 Jahren. Man hatte eine Flutwelle nicht auf der Rechnung, «und das war der Anfang des Problems», gibt der damalige Regierungschef Kan heute zu. Er beklagt nun: «Alle, die Verantwortung trugen, haben schwere menschliche Fehler gemacht.»
Der jüngste Bericht fügt diesem Eingeständnis Facetten hinzu, die juristische Folgen haben könnten. Tepco habe etwa unliebsame Daten einer Computeranalyse über die Schäden im Inneren der Reaktoren zurückgehalten. Auch seien Notfallausrüstungen zwar vorhanden gewesen, aber nicht eingesetzt worden. Eben so schwer wiegt der Vorwurf, die Behörden hätten nach der Katastrophe die vor Radioaktivität fliehenden Bewohner bewusst in die Irre geführt. Rund 160 000 Menschen flüchteten meist in die wegen der Windrichtung vermeintlich sicherere Nordostrichtung. Das war falsch, was sie hätten wissen können, wenn die Regierung sie korrekt informiert hätte.
Der Rapport, so urteilen Medien, gleiche einem politischen Todesurteil für die «Elite Japans».