Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet tötet ein US-Luftangriff über 20 pakistanische Soldaten. Die USA bedauern einen «tragischen Irrtum», Pakistan wittert Vorsatz. Die politischen Folgen sind über die Region hinaus unabsehbar.
War es «ein tragischer Irrtum, eine Tragödie», wie US-Präsident Barak Obama klagt, oder ein gezielter US-Angriff gegen Pakistan, wie die Generalität in Islamabad behauptet? Egal, wie der amerikanische Luftangriff an der afghanisch-pakistanischen Grenze vom vergangenen Samstag beurteilt wird: 24 pakistanische Soldaten sind tot – und der politische Schaden ist enorm.
• Das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen Washington und Islamabad scheint fast irreparabel beschädigt.
• Ein Erfolg der Bemühungen um die Stabilisierung Afghanistans nach dem Abzug der internationalen Truppen erscheint unwahrscheinlicher als zuvor.
• Die Schockwellen des Luftangriffs auf eine pakistanische Armeestellung haben zudem geopolitische Ausmasse angenommen. Bereits dient sich China der pakistanischen Regierung als Alternative zu einem Bündnis mit den USA an.
Sind wir noch Alliierte? fragen amerikanische und pakistanische Politiker dieser Tage. Wie Partner wirken beide längst nicht mehr. Als bisher gravierendste Reaktion auf den US-Luftangriff hat Islamabad gestern seine Teilnahme an der Afghanistan-Konferenz in Bonn vom kommenden Montag abgesagt. Deren Gewicht war ohnehin schon in Frage gestellt, da es die internationale Gemeinschaft verpasst hatte, auch die Taliban an den Konferenztisch zu bitten.
Bleibt nun auch Pakistan fern, vertritt an dem Treffen niemand aus der Region am Hindukusch eine Gegenposition zur aktuellen afghanischen Regierung unter Präsident Hamid Karzai. Mit Karzai, jedoch ohne Taliban und Pakistan ist ein stabiles Afghanistan nicht auszuhandeln.
An einen «tragischen Irrtum», der zu all dem geführt hat, wollen in Islamabad weder Politiker noch Offiziere glauben. Athar Abbas, Sprecher der pakistanischen Armee erklärt: «Zu sagen, es sei keine vorsätzliche Handlung gewesen, heisst die Tatsachen verdrehen.» Und Premierminister Yusuf Gilani doppelt nach: «Die USA bezeugen unserem Land keinen Respekt.» Die Urteile sind gefällt, auf die Ergebnisse der Untersuchung des Vorfalls durch die Nato wartet in Islamabad niemand.
Aber auch in den USA, wo der Wahlkampf ums Weisse Haus langsam in Fahrt kommt, werden polemische Töne laut. «Pakistan hat der Welt zur Genüge gezeigt, dass man ihm nicht vertrauen kann», tönte Rick Perry, der republikanische Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur aus Texas wenig diplomatisch in einer Fernseh-Talkshow.
Seit die USA den Al-Qaida-Gründer Osama Bin Laden in Pakistan getötet haben, steht der Vorwurf Washingtons im Raum, der pakistanische Geheimdienst ISI habe diesem jahrelang Unterschlupf gewährt. Seither versucht sich Pakistans Regierung zumindest verbal in zunehmendem Antiamerikanismus, um ihre Unabhängigkeit von Washington zu demonstrieren. Tatsächlich dürfte es sich aber eher um Prävention gegen die Machtgelüste der Armee handeln.
Da bekommt dann Obamas Wort vom «tragischen Irrtum» nach dem Luftangriff erst Bedeutung. Denn die Nutzniesser der verschärften Krise zwischen Washington und Islamabad sind der pakistanische Geheimdienst und die Armee:
• Die USA fürchten die Nähe der pakistanischen Armeeführung zu den heimischen und afghanischen Taliban vor allem wegen der Atomwaffen, die in die Hände der Islamisten fallen könnten.
• Die zivile Regierung fürchtet vor allem um ihre Macht, weil sich ISI und Generalstab auch dank der US-Politik zunehmend als Wahrer der Interessen Pakistans darstellen können.
• Die von wenig diplomatischem Geschick geprägte Politik des afghanischen Präsidenten Karzai verschärft die Lage zudem. Erscheint es ihm opportun, schwadroniert Karzai gerne von einem möglichen Bündnis mit Indien. Nichts aber fürchten die Pakistani mehr als indischen Einfluss am Hindukusch. Da erscheint dann ein verdecktes Bündnis der Armee und des ISI mit den Taliban schnell als legitim.
So droht nun nicht nur die Bonner Afghanistan-Konferenz im politisch luftleeren Raum zu tagen. Auch in Pakistan haben sich die politischen Gewichte zuungunsten einer politischen Lösung am Hindukusch verschoben.
Und die chinesischen Avancen gegenüber Pakistan schwächen zudem die Möglichkeiten Washingtons, Politik und Armee in Islamabad auf prowestlichem Kurs zu halten.