Politexperte Louis Perron erklärt die Mechanismen des US-Wahlkampfs – und weshalb Donald Trump noch nicht geschlagen ist.
Louis Perron, Sie sprechen in Ihrem jüngsten Newsletter von der «teuersten, intensivsten und negativsten Wahlschlacht», die es je gegeben hat. Weshalb?
Es ist ein Fakt: Amerikanische Präsidentschaftswahlen werden von Wahl zu Wahl teurer. Was vor zehn Jahren eine teure Kampagne war, ist heute ein Pappenstiel. Die Tendenz ist eindeutig inflationär. Deshalb spreche ich von der teuersten Wahlschlacht. Neu ist, dass Trump und Clinton die beiden unbeliebtesten Kandidaten sind, die es je gegeben hat. Ergo läuft es für viele auf eine Wahl des kleineren Übels hinaus.
Und die «Wahlschlacht» ihrerseits ist vor allem ein Wettkampf um die übelste Demontage. Ein Phänomen, das bloss durch den Trump-Effekt begründet ist – oder mehr?
Mehr. Es ist auch hier das Phänomen der Wahl des kleineren Übels. Für einen Kandidaten, der selber umstritten und unbeliebt ist, ist die rabiate Gegenoffensive eine sinnvolle Strategie. Damit haben George Bush 2004 und Barack Obama 2012 ihre jeweiligen Wiederwahlen gewonnen.
Kommt hinzu, dass Trump als Quereinsteiger prädestiniert wäre, das Polit-Establishment aufzumischen, Clinton geeignet, es seriös und souverän zu verteidigen. Beides funktioniert nicht. Was läuft falsch?
Na ja, Clinton liegt mittlerweile im Durchschnitt der Umfragen 4 bis 5 Prozent vor Trump. Sie macht also nicht alles falsch. Trump hingegen hat tatsächlich einiges verpasst. Als Herausforderer müsste er neben Kritik am Status quo auch eine positive Alternative skizzieren. Gerade in den USA verbanden erfolgreiche Wechselkandidaten wie Obama, Bill Clinton und auch Ronald Reagan Kritik am Status quo immer auch mit positiver, vereinender Rhetorik.
Wir dagegen wähnen uns eher in einer Casting-Show des schlechten Geschmacks und der diffamierenden Enthüllung. Kalkül der Wahlkampfstrategen oder Zeichen einer ausser Rand und Band geratenen Auseinandersetzung?
Beides. Es ist, wie gesagt, eine Wahl des kleineren Übels – mit allen Auswirkungen auf den Wahlkampf. Andererseits gehören Show und auch «negative advertising» seit eh und je zu Wahlkämpfen in den USA. Das hat einerseits mit dem Zweiparteiensystem zu tun, wo die Leute zwischen zwei Optionen auswählen müssen. Andererseits spielt auch die politische Kultur eine Rolle. Diese ist in den USA konfliktfreudiger und direkter als bei uns. Nach dem Motto «Everybody loves a fight».
Die Political Correctness ist offensichtlich ausser Kraft gesetzt. Trotzdem saust neben der Stil- auch die Moralkeule immer wieder herunter. Wird die Apostelin den Rüpel deswegen am Ende aus dem Feld schlagen?
So sieht es im Moment in der Tat aus. Aber es war bis jetzt eine Kampagne mit vielen Überraschungen und Enthüllungen. Wer weiss, was Wikileaks in den nächsten Wochen noch publik machen wird – oder was an der «Gesundheitsfront» passiert. Konkret: Wie geht es der Kandidatin Clinton wirklich?
Zurück zum Wahlkampf: Woran mangelt es den Kampagnen der beiden Kontrahenten?
Die politische Nachfrage in den USA schreit nach Veränderung. Trump hat es verpasst, dies auszunutzen und mit einer positiven Vision zu ergänzen. Clinton schaffte es nicht, ihre notorisch schlechten Popularitätswerte zu verbessern, obwohl sie durchaus Munition dazu hätte. Die Präsidentschaft von Bill Clinton etwa haben viele Amerikaner als wirtschaftlich gute Zeit in Erinnerung.
Was wird in den nächsten drei Wochen wichtig sein?
Donald Trump läuft die Zeit davon. In zahlreichen Bundesstaaten wird bereits gewählt. Bevor am eigentlichen Wahltag, dem 8. November, offiziell die Urnen öffnen, wird ein Drittel der Amerikaner bereits gewählt haben. Der Fokus der Kampagnen richtet sich also zunehmend auf die Mobilisierung der eigenen Unterstützer. Im US-Kampagnenjargon sagt man dem: «Get out the vote.»
Wenn wir nach Europa blicken: Werden wir künftig nur noch solche US-Wahlkämpfe erleben? Oder ist die Ausgabe 2016 die berühmte Ausnahme von der Regel?
Die US-Präsidentschaftswahlen 2016 sind in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich. Aber machen wir uns nichts vor: In der Schweiz ist «negative campaigning» häufiger, als wir auf den ersten Blick meinen. Es ist einfach weniger direkt und explizit.
Worauf spielen Sie an?
Es wird hierzulande über die Bande statt auf den Mann gespielt, vorzugsweise via Medien, die sich gern als Erfüllungsgehilfen betätigen.
Konkret?
Die Beispielpalette reicht von Geri Müller und Margret Kiener-Nellen über Susanne Leutenegger-Oberholzer bis zu Bruno Zuppiger und Hans Fehr.
Wahlkämpfe hierzulande orientieren sich gern an US-Vorbildern – Obamas «Yes, we can!» als Stichwort. Wie wird das aktuelle Duell nachwirken?
Amerikanische Präsidentschaftswahlen werden von den professionellsten Kampagnen der Welt begleitet. Man kann sich inspirieren lassen, aber man darf nicht blind kopieren.
Und wie wirken sich die neuesten Vorwürfe wegen sexueller Belästigung aus? Bestätigung eines Narrativs oder neuer Abgrund?
53 Prozent des Stimmvolkes in den USA sind Frauen. Das Video und die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung werden Trump sicher schaden – die Frage ist, wie stark und wie nachhaltig. Natürlich spielt es am Schluss auch eine Rolle, wie viel Fleisch am Knochen der Geschichte ist, nachdem Trump zuvor Übergriffe abgestritten hat.
Was sagen Sie zu Trumps republikanischen Parteikollegen?
Die Tatsache, dass sich einige Republikaner nun von ihm distanzieren, ist strategisch motiviert. Es geht ihnen schlicht darum, ihre eigenen Karrieren zu retten. Was nicht verhinderte, dass sie die Geschichte damit medial verstärkt und verlängert haben.