Ein Prediger am Pranger

Nach den Pariser Anschlägen mehrt sich die Kritik an salafistischen Imamen, die zwar gegen den Jihad sind, aber Musiktempel wie das Bataclan verteufeln. Ihr Star ist der ehemalige Rapper Rachid Abou Houdeyfa.

Stefan Brändle/Paris
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Er verurteilt nicht nur Terroristen, sondern auch Musikhörer: Rachid Abou Houdeyfa, Imam aus Brest. (Bild: maxppp/Nicolas Ollier)

Er verurteilt nicht nur Terroristen, sondern auch Musikhörer: Rachid Abou Houdeyfa, Imam aus Brest. (Bild: maxppp/Nicolas Ollier)

«Gehorcht der gute Moslem seiner Frau? Natürlich!», ruft der Imam aus, und seine dunklen Augen blitzen wie nach einem gelungenen Streich. «Wenn sie überfordert ist im Haushalt, muss er ihr selbstverständlich helfen. Nein, wir sagen nicht, die Muslima sei ihrem Mann unterworfen. Das passt uns nicht.»

Der kleine Redeausschnitt findet sich auf der Webseite von Rachid Abou Houdeyfa. Im folgenden sagt der 35jährige Franzose in seinem rhythmischen «tchatche», dem Akzent der Banlieue-Jugend: «Der Polizeipräfekt von Paris hat erklärt, in seiner Stadt habe es in einem einzigen Jahr 800 sexuelle Übergriffe gegeben, mehr als 8000! Ich sage: Schlagt eure Frauen nicht!»

Dank Facebook populär

Auf eine Null mehr oder weniger kommt es dem Imam nicht an. Wichtig ist der Effekt: Houdeyfa zeigt dem ganzen Land, dass er nicht der rückständige Gottesprediger ist, als den ihn französische Medien gerne darstellen. Nach den Pariser Anschlägen verurteilte der agile Bretone aus einem Immigrantenviertel von Brest die «Barbaren» und «Terroristen» in aller Deutlichkeit. Es seien schon immer kriminelle Taten im Namen der Religion begangen worden, erklärte er. Heute geschehe das leider im Namen des Islam, weshalb er als Prediger «ohne jede Ambivalenz» klarmachen müsse, dass diese Akte keinesfalls mit dem Islam zu rechtfertigen seien.

Auch das war eine indirekte Antwort an seine Kritiker. Sie werfen ihm dennoch eine ambivalente und letztlich gefährliche Haltung vor. Der agile Mann mit Kinnbart und Kahlkopf bedient sich, wie einst die amerikanischen Fernsehprediger, der neuen Medien, um über seine Moschee hinaus bekannt zu werden. Er kommuniziert via Twitter, YouTube und Facebook, wo er 187 000 Anhänger zählt.

Wer Musik hört, wird zum Schwein

Weniger modern ist sein Diskurs. Houdeyfa, mit bürgerlichem Namen Rachid El Jay, gehört zum quietistischen (gewaltlosen) Flügel der Salafisten und bezieht sich ausdrücklich auf Standpunkte und Quellen, die vor «vierzehn Jahrhunderten» entstanden, wie er selber hervorhebt, als wäre das ein unschlagbarer Vorteil. Bekannte Salafisten aus den Pariser Vorstädten, etwa Nader Abou Anas aus Le Bourget oder Mehdi Kabir aus Villetaneuse, predigen mit dem gleichen Argument gegen Feministinnen und Schweinefleisch. Houdeyfa, der früher gerne rappte und von sich sagt, er sei «weder ein Weiser noch ein Mufti», gibt sich viel aufgeschlossener; auf ebenso eloquente wie vehemente Weise macht er sich über seine Kritiker lustig, wenn sie seine Rückständigkeit anprangern.

Nicht mehr zu löschen vermag er allerdings ein YouTube-Video, in dem er Zehnjährige um sich geschart hat und ihnen erklärt, Musik sei «haram», also unzulässig, verboten. Wer auf seinem Smartphone Musikvideos anschaue, werde in einen Affen oder ein Schwein verwandelt, droht Houdeyfa den Kindern. Diese staunen zuerst, machen aber bald mit. Auf die Schlussfrage des Predigers, was Musik sei, antworten sie nun wie aus einer Kehle: «Haram!»

«Wo beginnt der Radikalismus?»

Das Video wurde vor den Pariser Anschlägen aufgenommen. Das Wochenmagazin «L'Obs» stellt dennoch die Grundsatzfrage: «Wo beginnt der Radikalismus?» Schafft Houdeyfa mit seinen Worten nicht den Nährboden für Terroristen, die bewusst einen Konzertsaal wie das Bataclan oder die dort aufgetretene Band Eagles of Death Metal zur Zielscheibe machten? Das befürchtet auch die Anthropologin Dounia Bouzar, die in der Pariser Umgebung Projekte zur «De-Radikalisierung» entgleister Banlieue-Kinder leitet. Sie hat Hunderte Lebensläufe von Anhängern der Terrormiliz IS geprüft und festgestellt: «Wenn man im Cache ihrer Computer nachschaut, stösst man bei den frühesten Einträgen meist auf die Videos dieser Imame.»

Starprediger wie Houdeyfa sprechen ganz offensichtlich auch Jugendliche an, die für die als altmodisch und verstaubt geltenden Moschee-Rektoren nur noch Verachtung übrig haben. Bloss verdammen diese Salafisten, selbst wenn sie jeden Terror zurückweisen, generell die westliche Lebensart – und damit auch die Pariser Bistrokultur, die Ziel der jüngsten Anschläge war. Darüber diskutiert Houdeyfa aber nicht öffentlich, verweigert er sich doch systematisch den Anfragen französischer Medien.

Auch die französische Polizei scheint sich derzeit zu fragen, auf welcher Seite Houdeyfa wirklich steht. Im Zuge des nationalen Ausnahmezustandes wurde seine Moschee am letzten Freitag von über 100 Polizisten einer mehrstündigen Hausdurchsuchung unterzogen.