In Berlin schiessen die Mieten in die Höhe. Jetzt will eine Initiative private Immobilienfirmen enteignen. Die Wirtschaft ist in Sorge. Initiant Michael Prütz sagt: «Natürlich steckt da auch Sozialismus drin.»
Michael Prütz sitzt in seinem geräumigen Büro im Graefekiez. Hier verläuft die Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Hübsch sanierte Altbauwohnungen, hippe Cafés neben türkischem Gemüsehändler, teure Altbauwohnungen. Der 66-jährige Versicherungskaufmann ist der Schrecken der Berliner Immobilienfirmen, vermutlich das Feindbild der deutschen Immobilienbranche schlechthin.
Prütz sagt, lässig in seinen Stuhl gelehnt und mit der linken Hand eine Schachtel «Camel Filter» umklammernd: «Die Spekulanten und diejenigen, die die Not der Menschen ausnutzen, sollen ihre Immobilien dem Staat zurückgeben. Die Verhältnisse in Berlin sind komplett aus dem Ruder gelaufen.»
Der gebürtige Westberliner schlägt seit Wochen die Werbetrommel für die höchst umstrittene Initiative, die am 6. April offiziell lanciert werden soll. «Deutsche Wohnen und Co. enteignen», nennt sich das Volksbegehren – und es ist tatsächlich genau so gemeint: Prütz und seine Mitstreiter wollen dafür sorgen, dass grosse Immobilienfirmen mit mehr als 3000 Wohnungen vom Staat enteignet werden. Laut dem Grundgesetz könnte das möglich sein, Experten sind sich allerdings uneins.
Ginge es nach Prütz, soll Berlin mehr als 200 000 Wohnungen zurückkaufen und vergesellschaften. Ein Milliarden-Kraftakt. Zum Schutz der Menschen, die unter immer höher steigenden Mieten zu leiden haben. «Natürlich steckt da auch ein Hauch Sozialismus drin», sagt Prütz und lacht laut auf. «In der Hitze der Schlacht wird argumentiert, Berlin steuere auf DDR-Verhältnisse zu. Das ist natürlich kompletter Unsinn.»
Laut den Initianten sollen die Wohnungen zurückgekauft werden, zu 20 Prozent mit Geldern der Stadt Berlin, die restlichen 80 Prozent soll eine neue Gesellschaft des öffentlichen Rechts beisteuern, die einen Kredit aufnehmen sollte, der durch die Mieteinnahmen über die Jahre abgestottert würde. Enteignung light quasi. «Wir nehmen nicht Siemens und Co. ins Visier. Wir wollen das Grundbedürfnis Wohnen vor einem ausufernden, kapitalistischen Wettbewerb schützen.»
Das Anliegen von Prütz und seinen Mitstreitern stösst auf Sympathien in der deutschen Hauptstadt. Grosse private Immobilienfirmen wie die Deutsche Wohnen mit 110 000 Wohnungen in Berlin achten vor allem auf den Profit und erhöhen bei Möglichkeiten die Mieten, das Schicksal der Mieterinnen und Mieter schere «diese Immobilienspekulanten», wie Prütz sagt, nicht. Freilich, Berlin geniesst den Ruf einer «roten» Stadt, doch selbst der bürgerliche Mittelstand bringt – zumindest – Verständnis für das Anliegen auf, das dem Kapitalismus Schranken setzen möchte. Die Wohnungsmieten in Berlin sind so stark gestiegen wie in kaum einer anderen Stadt, bei vergleichsweise immer noch tiefen Durchschnittseinkommen. Sogar der rot-rot-grüne Berliner Senat sympathisiert in Teilen mit der Vorlage. Die Opposition hingegen warnt eindringlich vor der Initiative, die laut der FDP «brandgefährlich» ist.
Brandgefährlich – so sieht das auch Ralph Henger, Experte für Wohnungspolitik und Immobilienökonomie am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Er spricht gegenüber unserer Zeitung von «einer unheimlich gefährlichen Entwicklung» in der 3,7-Millionen-Metropole. «Die Initiative schreckt Investoren ab, das ist auch mit Blick auf den so dringend benötigten Wohnungsmarkt gefährlich.» Henger betont, dass Debatten über Enteignungen nur in der eher links orientierten Hauptstadt Berlin möglich seien.
«Das Signal an Investoren ist fatal, wenn in Berlin 30 Jahre nach dem Ende der DDR über Enteignung diskutiert wird. Dann sind wir von Dimensionen des Sozialismus nicht mehr weit entfernt.» Henger räumt ein, dass die steigenden Mieten in Berlin problematisch sind. Doch anstatt über Enteignungen soll Berlin über Neubauten sprechen. Der Wirtschaftswissenschafter Bernd Fitzenberger von der Humboldt Universität in Berlin fügt auf Anfrage hinzu: «Es ist auf ersten Blick sehr überraschend, dass 2019 gerade in Berlin wieder über Enteignung gesprochen wird.» Erstaunt, dass das Anliegen auf breite Zustimmung stösst, ist Fitzenberger indes nicht: «Die Ungleichheit in der Gesellschaft hat zugenommen – die Enteignungsdebatte ist eine Reaktion auf diese verstärkt wahrgenommenen Probleme.»
Der Staat habe mittelfristig die Möglichkeit, die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt anders zu beeinflussen. «Wenn der Staat frühzeitig mit Bauvorschriften die Richtung vorgibt und strategisch aktiver und effektiver in den Erwerb von Baugrundstücken und in die Bebauungsplanung einsteigt, kann er Kostenexplosionen entgegenwirken.»
Der momentane Rummel schmeichelt Michael Prütz, das räumt er unumwunden zu. Es gibt Anfragen von der «New York Times» und anderen internationalen Medien, «bestimmt 30», wie er stolz hinzufügt. «Ich will nicht arrogant wirken», meint er einmal, «aber die Medien aus Übersee müssen warten. Geht einfach nicht mehr.» Er rede jeden Tag an einer Veranstaltung, in den Medien, in anderen Städten. 20 000 Unterschriften müssen für die erste Hürde der Initiative gesammelt werden, laut Prütz eine Kleinigkeit, in zwei Tagen wollen er und das Komitee 100 000 Signaturen sammeln.
Am Ende soll das Volk den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus damit beauftragen, die rechtlichen Grundlagen für eine Vergesellschaftung der Immobilienfirmen auszuarbeiten. Es schwebe ihm das «Wiener Modell» mit seinem sozialen Wohnungsbau vor, erklärt er. «Der Turbokapitalismus auf dem Wohnungsmarkt ist nicht mehr steuerbar. Die Menschen sind die Verlierer», gibt sich Prütz kämpferisch: «Nun müssen wir handeln.»