Die Suche nach dem Versöhner

Ägypten drohen weitere Tage der Gewalt. Ein neutraler Premier könnte die Lage beruhigen, ist aber in der polarisierten Politlandschaft am Nil schwer zu finden. Nun soll offensichtlich Siad Bahaa al-Din Übergangspremier werden.

Markus Symank
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Ein Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi hinter einer Barrikade. Der anhaltende Konflikt mit den Islamisten erschwert in Ägypten die Bildung einer Übergangsregierung. (Bild: ap/Manu Brabo)

Ein Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi hinter einer Barrikade. Der anhaltende Konflikt mit den Islamisten erschwert in Ägypten die Bildung einer Übergangsregierung. (Bild: ap/Manu Brabo)

KAIRO. Mitten im Chaos der vergangenen Tage machte in Ägypten eine spektakuläre Twittermeldung die Runde: Ayman al-Zawahiri, Chef der Terrororganisation Al Qaida und selbst ein Ägypter, sei vom Hindukusch in seine Heimat zurückgekehrt. Auf der Sinaihalbinsel wolle der Nachfolger Osama bin Ladens den Kampf gegen Kreuzritter, Zionisten und den ägyptischen Staat aufnehmen.

Angst vor Bürgerkrieg

Die Nachricht kann getrost der ägyptischen Vorliebe für Verschwörungstheorien zugerechnet werden. Ernstzunehmende Hinweise auf eine Übersiedlung von al-Zawahiri gibt es nicht. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich die Sensationsmeldung verbreitete, zeigt auf, wie gross in Ägypten die Angst vor einem Bürgerkrieg ist.

Seit der Entmachtung von Präsident Mohammed Mursi am vergangenen Mittwoch kamen landesweit mehr als 40 Personen gewaltsam ums Leben. Für gestern abend hatten islamistische Parteien erneut Proteste angekündigt.

Geisterstadt Kairo

Das Zentrum Kairos glich gestern einer Geisterstadt. Zahlreiche Geschäftsinhaber hatten ihre Läden verbarrikadiert. Die notorisch überfüllten Strassen rund um den Tahrir-Platz waren nahezu autofrei, Strassencafés wie ausgestorben. Im Mittelpunkt des Interesses stand stattdessen die verschlafene Nilinsel Manial: Anwohner hielten dort am Samstagabend einen Beerdigungszug für zwölf Gewaltopfer ab.

Augenzeugen zufolge hatten Islamisten die 12 Bewohner der Insel am Freitag mit Maschinengewehren niedergemetzelt. Sie gehörten zu den 30 Todesopfern der Strassenschlachten in der Nacht auf Samstag. Explosiv ist die Lage auch auf der Sinaihalbinsel. Dort sprengten Unbekannte gestern eine Gaspipeline. Seit Freitag ermordeten Extremisten zudem fünf Soldaten sowie einen koptischen Priester. Die islamistische Splittergruppe Ansar al-Sharia kündigte an, vom Sinai aus die neuen Machthaber bekämpfen zu wollen. Die Region nahe der israelischen Grenze entwickelt sich zum Rückzugsgebiet für Jihadisten.

Sozialdemokrat im Fokus

Derweil arbeitete der neue Übergangspräsident Adli Mansur mit mehreren Parteien fieberhaft an der Bildung einer neuen Regierung. Mansur ist bewusst, dass ein Ministerpräsident, der sowohl von Säkularen wie auch den Islamisten anerkannt wird, entscheidend zur Beruhigung der Lage beitragen könnte. Gestern abend gab ein Sprecher bekannt, dass der Sozialdemokrat Siad Bahaa al-Din neuer vorübergehender Ministerpräsident werden soll. Der liberale Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei solle stellvertretender Präsident werden. Für die beiden Personalvorschläge werde «eine breite Unterstützung» gesehen.

Unruhe um El Baradei

Am Samstagabend hatten ägyptische Zeitungen zunächst noch gemeldet, Oppositionsführer Mohammed el-Baradei sei zum Regierungschef ernannt worden. Stunden später folgte ein Dementi. Offenbar hatte die salafistische «Partei des Lichts» Widerstand gegen den Friedensnobelpreisträger angekündigt. Auch die Moslembruderschaft lehnt El Baradei kategorisch ab. Für die Islamisten ist der 71-Jährige wegen seiner jahrelangen Arbeit als Chef der Internationalen Atomenergieorganisation sowie wegen seiner iranischstämmigen Frau ein rotes Tuch: Ägyptische Islamisten sehen den schiitischen Iran als Bedrohung für die mehrheitlich sunnitisch geprägten Staaten der Region.

In die Regierung einbinden

Übergangspräsident Mansur legt aber grossen Wert darauf, die Salafisten in die Regierung einzubinden. Damit soll der Eindruck eines rein säkularen Bündnisses verhindert werden. Die Moslembruderschaft hat nach der Entmachtung Mohammed Mursis eine Beteiligung an der Regierung bereits ausgeschlossen.

Die Partei des Lichts hingegen, die bei den ersten freien Parlamentswahlen im Jahr 2011 mit 28 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft wurde, hat den Putsch der Armee vorsichtig begrüsst. Sie hatte sich bereits Anfang Jahr mit Präsident Mursi überworfen.

Mohammed el-Baradei (Bild: ap)

Mohammed el-Baradei (Bild: ap)