Der dramatische Ansehensverlust des deutschen Aussenministers und Vizekanzlers Guido Westerwelle steht gleichsam für eine Politik, deren Akteuren das deutsche Volk das Vertrauen entzogen zu haben scheint.
Berlin. «Wutbürger» wurde in Deutschland zum Wort des Jahres gekürt. Gemeint sind Bürgerinnen und Bürger, die sich von der Politik nicht nur abwenden, sondern über die Hauptdarsteller der Regierung spotten. Und wie kein anderer ist es Vizekanzler Guido Westerwelle, Vorsitzender der liberalen FDP, über den sich die frustrierte Bevölkerung lustig macht.
Immer wieder soll es lustig sein, wenn «Schwesterwelle» in Anspielung auf sein Schwulsein, lächerlich gemacht wird – auch in Berliner Medien. Und das in einem Land, in dem Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister Berlins, mit seinem Bekenntnis «Ich bin schwul und das ist gut so» noch immer als Beleg genommen wird, dass Deutschland liberal ist. Aber so ist es nicht, und die Verunglimpfungen des liberalen Parteichefs sind nur ein Indiz dafür, dass das «Anderssein» als Vorwurf nicht allein auf moslemische Ausländer zielt, sondern auf das, was mit liberalem Denken zentral gemeint ist: eine freiheitliche Gesinnung.
Die zu pflegen wäre Aufgabe gewesen einer liberalen Partei, die es in den letzten Jahrzehnten allerdings vorzog, allein das Wirtschaftsliberale zu pflegen. Und so sitzt denn im Kabinett nur eine einzige FDP-Politikerin, die tatsächlich liberal denkt und politisiert: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Populär ist sie nicht, und in ihrer eigenen Partei zwar respektiert, aber dennoch Aussenseiterin. Bürgerrechte einfordern, Scharfmacher-Gesetze verhindern, Widerstand leisten gegen einen immer dreister gezimmerten Überwachungsstaat: die Liberalen haben zentrale Themen ihrer Partei vergessen – sehr zur Freude der Grünen, die diese Themen nun besetzt haben. Und die FDP sitzt auf einem Programm, das sich letztlich nur um Geld dreht. Kein Geld für Faulenzer, fordert Westerwelle und im übrigen: Steuern runter. Die Antwort der grünen-Fraktionschefin Renate Künast: «Westerwelle sagt, er habe Millionen hinter sich. Da hat er sich vertan. Er meint Millionäre». Westerwelle redet viel, doch was er sagt, ist oft verfänglich, etwa: «Es ist Deutschland hier! Es ist spätrömische Dekadenz hier!» Worauf ihn CDU-Urgestein Heiner Geissler daran erinnerte, dass die Reichen sich in jener Zeit in Eselsmilch gebadet hätten und Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt habe – heute sei «ein Esel Aussenminister geworden».
Allerdings einer der die FDP in der letzten Bundestagswahl auf 14,6 Prozent hoch putschte, bevor er so tief fiel wie kaum ein anderer Politiker vor ihm. Umfragen sehen die FDP aktuell noch bei drei Prozent. Nun besteht die akute Gefahr, dass die FDP am 27. März in Baden-Württemberg (bislang schwarz-gelb regiert) und in Rheinland-Pfalz aus dem Landtag fliegt. Käme es so, würde das die schwarz-gelbe Berliner Koalition massiv schwächen. Zwar hat sich die «Bild-Zeitung» festgelegt und prophezeit, dass «Guido bleibt» – und sei es nur weil ein Nachfolger fehle.
«Wer ist Guido Westerwelle», fragte jüngst das Politik-Magazin «Cicero» – ohne die Frage beantworten zu können. Aber sicher ist, dass Westerwelle keine Witzfigur ist, sondern eine politische Schlüsselfigur auch im neuen Jahr. Nicht, weil er grosse Pflöcke eingeschlagen hat, sondern weil er im Gegenteil das Versagen einer Regierung verkörpert, die endlich vital und profiliert agieren muss, wenn sie Respekt zurückerobern will. Einen unmöglich gemachten Vize kann sich die Kanzlerin nicht leisten.
Was tun? Am Dreikönigstreffen in Stuttgart will Westerwelle sich heute noch einmal aufbäumen und eine Rede halten, die alle seine Kritiker zum Verstummen bringen soll.