Uiguren, Mongolen, Bai und Dai: In China leben insgesamt 56 Völker. Im Pekinger Nationalitäten-Museum sind sie alle versammelt. Dort werden die Probleme ausgeblendet, die Folklore zeigt eine Welt der Harmonie.
Die heile Welt beginnt hinter einem Parkplatz. Die Steinplatten sind herausgerissen, eine Kette baumelt herunter und landet auf dem ausgekippten Mülleimer-Inhalt. Die heile Welt lässt die Stadtautobahn links liegen und zieht durch einen Laubengang aus Plastikblumen in eine 55 Hektaren grosse Landschaft voller Harmonie – in Chinas Museum der Nationalitäten.
Neben der Mehrheit der Han leben im Reich der Mitte 55 anerkannte Minderheiten. Tibeter, Uiguren, Mongolen, Bai und Dai, Hui und Sui. Gleich neben dem Pekinger Olympiagelände, zwischen künstlichen Seen und künstlichen Hütten, sind sie ausgestellt und zeigen auf drastische Weise, wie der Staat seine Minderheitenpolitik versteht – als reine Folklore.
Oben auf dem Hügel steht eine Moschee, unter dem Halbmond weht eine kleine rote Fahne. 62 Stufen führen in die «Uiguren-Landschaft» mit nachgebauten Häusern aus Kashgar, mit Strassen, «wie sie in Xinjiang zu finden sind», der Provinz, die China so viel Kopfschmerzen bereitet. Auf dem Plastikschild neben der steinernen Treppe steht nichts davon, kein Wort von jahrzehntelangen Unabhängigkeitsbestrebungen, schon gar nicht von blutigen Anschlägen.
Die acht Millionen Uiguren, heisst es hier, seien Experten im Bau von Bewässerungsgräben und hoch entwickelt im Kunsthandwerk. Die Moschee ist leer, die Uiguren sind nicht zu Hause. Auch die Tataren nicht und die Hui nicht, die moslemischen Völker Chinas. Bei den Ewenken, den nach und nach zur Sesshaftigkeit verpflichteten Rentierzüchtern, spazieren zwei Ziegen hinter dem aus Birkenrinde gebauten Tschum, dem Wohnhaus der früheren Nomaden. Der Holzwagen liegt zerbrochen da, an der Tafel nebenan steht geschrieben: «Schon vor der Gründung der Volksrepublik haben sich die Ewenken entschlossen, sich an einem Ort niederzulassen. Heute leben nur noch wenige ein primitives Leben.» Beschlagnahmte Rentiere? Alkoholprobleme? Ach nein, die heile Welt hat noch so viel zu bieten!
Die Bai zum Beispiel, mit hübschen Hüten und hübschen Kleidern. Sie sind auf dem Weg zu Tibet zu finden – dort, wo eine strickende Tibeterin auf Chinesisch lediglich sagen kann, dass sie kein Chinesisch kann. Fragen zum Leben in ihrem Dorf, zur Religion, zu Selbstverbrennungen der Mönche gar? Es bleiben Schweigen und der Fingerzeig auf die nächste Tanzvorstellung.
Um 16.30 Uhr geht es los. Auch die Bai tanzen, schon um 15.30 Uhr. Davor aber greifen sie zur Pfeife, sobald jemand ihre Landschaft betritt, ein lautes Vogelgezwitscher. Schulklassen stürmen auf das Gelände, kaufen bunte Taschen, probieren die selbstgemachte Limonade, lauschen dem Gesang der Vögel. «Keine Ahnung, warum wir pfeifen. Man hat es uns gesagt, also tun wir das», sagt das Bai-Mädchen, das sich mit Jinhua vorstellt, die «Goldblume». Seit zwei Monaten ist sie im Park, «ein Jahr muss ich bleiben, meine Schule hat mich hergeschickt». Die 18-Jährige kommt aus Dali in der Provinz Yunnan; eine Tracht hatte sie dort nie getragen. «Wir sind doch normale Menschen, wir tragen T-Shirts und Jeans, im normalen Leben eben.» Ist der Park nicht normal, ein Menschenzoo gar? Die «Goldblume» überlegt. «Das ist China, hier ist alles bunt und schön», sagt sie.
Die Schüler rennen zu der nächsten Attraktion, zu den Jino und den Lisu, zu den Pumi und den Naxi. Das Museum versteht sich als Lehrpark. Lernen lässt sich hier vor allem eines: Die Minderheiten sind fröhlich, sie tanzen und sie singen gern. Nur die Han – ja, auch sie haben einen Pavillon auf dem Gelände, in Tempelform – tanzen nicht. Die Han, das sind die Touristen, das sind die Mädchen und Buben, die über die Brücken rennen, sich hinter den Bäumen verstecken, an den künstlichen Zöpfen der Miao-Frauen ziehen. Sie sind die Mehrheitsgesellschaft, die den Minderheiten – es sind nicht einmal 150 000 Menschen im Land der 1,3 Milliarden Einwohner – über die Schulter schaut.
Im Park wollen sie sie am liebsten in ihrer Tracht sehen. Die beiden Mongolinnen, 18 Jahre alt, haben sie aber noch nicht angezogen, die Schüler wenden sich ab. Die jungen Frauen aus Chifeng in der Inneren Mongolei sind angehende Schauspielerinnen, sechs Monate werden sie im Park verbringen, «eine Art Praktikum, sonst bekommen wir keine Noten», sagen sie. Umgerechnet 200 Euro gibt es im Monat, kein schlechter Lohn. «Nur die Schönsten und die Besten schickt die Regierung her. Die Plätze sind beliebt, manche bestechen gar die Beamten, um hier tanzen zu dürfen», erzählen die Frauen und sind ganz still, als ihre Aufseherin hinter einem Paravent auftaucht. «Los, fegt weiter. Es muss alles schön aussehen, bevor die Touristen kommen», ruft sie.
Die Touristen sind da gerade beschäftigt, haben ihre Kameras gezückt, auf den Plastikstühlen bei den Tu Platz genommen, dem Volk, das im tibetischen Hochland lebt. Sieben Vertreter hat die Lokalregierung ausgesucht, drei 15jährige Buben («Schule? Nein, haben wir nicht. Wir tanzen»), vier etwas ältere Mädchen («Wir tanzen und singen, das ist unsere Bestimmung»). Sie halten Flöten in der Hand, haben Hüte auf, und am Ende fordern sie ihr Publikum zum Mitmachen auf. Von neun bis fünf arbeiten die Tu-Kinder als Tu-Kinder, dann gehen sie ins Wohnheim nebenan, erholen sich. Vom Tu-Sein etwa?
Je mehr der Park das Lied vom «grossen Volk der 56 Brüder und Schwestern» anstimmen lässt, desto klarer sendet er die Botschaft, dass vom Zusammenhalt nur schöne Worte bleiben. Der Rest sind fröhliche Tänze.