Der Putsch ist gescheitert, der Drahtzieher benannt, bewiesen ist nichts. Der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdogan geht über die «Säuberung» der Opposition seinen Weg zur unbegrenzten Macht.
Die Erinnerung an die Nacht vom 15. auf den 16. Juli verblasst. An den Folgen wird gearbeitet – in der Parteizentrale der regierenden islamisch-konservativen Partei AKP, vor allem aber im Präsidentenpalast in Ankara.
Das Ziel von Präsident Erdogan und seiner AKP war längst vor dem Putsch bekannt. Dieser aber hat den Weg zum Ziel freigemacht: zur Verfassungsänderung, welche die parlamentarische Demokratie in der Türkei zu einer Präsidialrepublik mit weitestgehenden Vollmachten für den Staatschef macht.
Der Putschversuch einer Minderheit von Offizieren der Streitkräfte war schnell zerschlagen. Die zwei Helden ebenso schnell benannt wie der schuldige Drahtzieher: Erdogan und das ihn unterstützende Volk die Helden, der Prediger Fethullah Gülen und seine schwer durchschaubare Ismet-Bewegung die Drahtzieher des Putsches. Eine zumindest unvollständige Liste, was die Helden, und eine bisher nicht belegte, was die Täter betrifft. In der entscheidenden Nacht gaben im Parlament in Ankara vier Parteien – Oppositions- und Regierungskräfte – unter Beschuss der Putschisten eine gemeinsame Stellungnahme gegen den Putsch und für die Demokratie ab. Die Medien öffneten derweil ihre Mikrophone und Online-Dienste jenen, die Widerstand leisteten. Und: Auf der Strasse stellten sich Türken und Türkinnen aller politischen Couleur den Militärs entgegen. Den meisten Kräften, die sich in dieser Nacht für die Demokratie einsetzten, wurde ihr Engagement schlecht entlöhnt.
Das Parlament ist fast nur noch eine Attrappe. Dutzende kurdische Volksvertreter sitzen nicht mehr im Plenum, sondern im Gefängnis. Kritische Medien, Zeitungen, Radio- und TV-Sender wurden im Dutzend geschlossen, ihre Verantwortlichen verhaftet oder kaltgestellt. Der Vorwurf war immer der gleiche: Unterstützung der Gülen-Bewegung. Zehntausende Staatsbeamte – Lehrer und Professoren, Richter und Polizisten, Offiziere und Soldaten – wurden mit derselben Begründung entlassen. «Es herrscht wieder Ruhe im Land», wird der Ausnahmezustand gelobt, der dies alles möglich machte. Damit dies so bleibt, wird das Sonderrecht, das bürgerliche Freiheiten aushebelt, ein ums andere Mal verlängert. Die Ruhe aber ist Angst und Hetze. Angst in der eingeschüchterten Opposition und Fanatisierung der permanent aufgepeitschten Anhängerschaft Präsident Erdogans. Die Zeit ist reif, sind sich Erdogan und seine AKP sicher. Reif für die Verfassungsänderung. Die AKP muss sich nicht einmal selber exponieren. Die rechtsextreme Partei MHP tut das für sie. Deren Führer Devlet Bahçeli hat die Regierung aufgefordert, den Vorschlag für die Einführung des Präsidialsystems einer Volksabstimmung zu unterbreiten. Die dafür notwendigen Stimmen im Parlament garantiere die MHP.
Bahçeli betonte, seine persönliche Wahl sei die parlamentarische Demokratie, aber dem Willen des Volkes werde er sich nicht versagen. So viel Absicherung muss sein. Dem Volk zu erklären, weshalb man die parlamentarische Demokratie für besser hält, war anscheinend keine Option. So schiebt man politische Verantwortung ab und macht sich beim Sultan im Wartestand lieb Kind.
Für die Annahme einer Verfassungsänderung sind im Parlament 367 der 550 Stimme nötig. Für eine Volksabstimmung 330. Die regierende AKP hat derzeit 317 Sitze inne, die MHP deren 40. Zumindest die Volksabstimmung scheint also gewährleistet, und bei der politischen Stimmung im Land auch deren Erfolg im Sinne Erdogans.