Proteste und Gegenproteste: Mindestens 25 000 islamkritische Demonstranten haben in Dresden an der Pegida-Kundgebung teilgenommen. In anderen Städten Deutschlands wurde für ein weltoffenes Land mobilisiert.
BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Montag Ex-Bundespräsident Christian Wulff mit den Worten zitiert: «Der Islam gehört zu Deutschland.» In Dresden allerdings kamen mindestens 25 000 Demonstranten zum sogenannten «Abendspaziergang» einer Bewegung, die ihre Daseinsberechtigung durch die Pariser Terroranschläge bestätigt sieht. So viele Teilnehmer hatten die «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) in Dresden noch nie. Dies könnte zum Kurzschluss führen, dass die Massenbewegung vielleicht schon bald nicht mehr nur in Dresden, sondern in ganz Deutschland marschiert. So ist es aber nicht. Denn die Pegida-Strassenproteste konzentrieren sich nach wie vor auf Dresden – der Zulauf bei den diversen bundesweiten Ablegern ist kaum erwähnenswert.
Allerdings: Das Strassengeschehen ist nicht zu verwechseln mit dem, was viele Deutsche denken. Viele vertreten fremdenfeindliche Ansichten, was Umfragen immer wieder belegen. Darum wäre es auch ein Kurzschluss, die Teilnehmerzahlen des zurzeit auf Dresden konzentrierten Pegida-Protests aufzurechnen mit den vielen bundesweiten Gegenprotesten jener, die für ein weltoffenes Deutschland auf die Strasse gingen. «München ist bunt» mobilisierte am Montagabend über 20 000 Personen, und in Leipzig demonstrierten gar 30 000 gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Rechnerisch hat sich also eine überwiegende Mehrheit der Deutschen gegen Pegida gestellt, was politisch allerdings irrelevant ist und vielmehr die Frage aufwirft: Was verkörpert Pegida?
Es ist noch nicht lange her, da gab es in Deutschland den Begriff «Wutbürger» für die vielen im Land, die das Gefühl hatten, in ihrer Demokratie faktisch nichts zu sagen zu haben. Ihnen ist die Politik mit Respekt begegnet. Anders als jenen, die sich jetzt bei Pegida oder der «Alternative für Deutschland» (AfD) engagieren und pauschal in die rechtsextreme Ecke gestellt werden – nun auch von Kanzlerin Angela Merkel. Rechtschaffene Bürger, sagte sie in ihrer Neujahrsansprache, gingen da nicht hin. «Glückwunsch», meinte der «Spiegel», weil sie endlich Kante gezeigt und Klartext geredet habe. Man könnte das auch anders sehen und parteipolitische Motive unterstellen.
CDU-Parteichefin Merkel bezieht eine Position in der Union, die in der Folge von der CSU bald relativiert werden dürfte. Aufgabenteilung also im Kampf gegen eine AfD, die schlicht alles falsch machen müsste, um bei der nächsten Bundestagswahl nicht zweistellig gewählt zu werden.
Dies wollte Merkel sicher nicht befördern, als sie sagte, der Islam gehöre zu Deutschland und dieser Meinung sei sie auch. Sie zitierte dabei Christian Wulff. Den Ex-Bundespräsidenten, der, geschützt von der Pressefreiheit, von den Medien vorverurteilt und zum Rücktritt gezwungen wurde, bevor die Justiz ihn von allen Vorwürfen freisprechen konnte. Nun soll er also sozial rehabilitiert werden – zu spät.
So, wie es auch zu spät ist, eine von der Regierung Merkel verpfuschte Flüchtlingspolitik mit Feuerwehrübungen nachzubessern. Darum geht es und um ein stetig wachsendes soziales Gefälle im angeblich reichen Deutschland.
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig. Und ohne das grosszügige Hinwegsehen von Berlins ehemaligem Bürgermeister Klaus Wowereit über manches, was in der Ausländerpolitik falsch läuft, wäre Berlin heute wohl keine vergleichsweise friedliche Stadt. Dafür musste sein früherer Finanzminister Thilo Sarrazin büssen, der das bankrotte Berlin zumindest stabilisieren wollte. Auch er ein angeblich rechtsextremer Politiker, geächtet in seiner SPD, weil er sich die Redefreiheit auch jetzt nicht nehmen liess und Merkels Islam-Bekenntnis zerpflückte. In Deutschland lebten vier Millionen Menschen islamischen Glaubens. Meine Merkel, der Islam sei ein «historisch gewachsener Bestandteil der deutschen Kultur, Tradition und Lebensart», sei dies falsch.
Apropos Meinungs-und Redefreiheit: «Lügenpresse» wurde gestern zum «Unwort des Jahres 2014» gewählt, weil der Begriff von den Nazis gebraucht wurde, um unabhängige Medien zu diffamieren. Das war allerdings nicht der Grund, warum Pegida-Gründer Lutz Bachmann in Dresden verhinderte, dass die Masse «Lügenpresse» skandieren wollte wie üblich. Pegida fühlt sich gestärkt, und also sagte er der Presse: «Macht, was ihr wollt. Schreibt, was ihr wollt.»