PARIS. Frankreichs Präsident Sarkozy, ein sozialistischer Abgeordneter und Ex-Innenminister Pasqua klagen gegen den früheren Chef des Geheimdienstes. Im Visier haben sie Ex-Präsident Chirac.
Wegen Verleumdung und Verletzung der Privatsphäre verklagt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Yves Bertrand, der von 1992 bis 2004 den Inlandsgeheimdienst Renseignements généraux (RG) leitete, die politische Polizei Frankreichs. Eine weitere Klage gegen Bertrand kommt aus der Parlamentsfraktion der Sozialisten und eine dritte von Ex-Innenminister Charles Pasqua.
Grund der Empörung von links bis rechts sind persönliche Notizen Bertrands. Einige davon gehören zum Dossier der so- genannten Clearstream-Affäre, einer Verleumdungskampagne gegen den damaligen Präsidentschaftsanwärter Sarkozy. Als ihr Organisator gilt Ex-Premier Dominique de Villepin, ein Vertrauter des früheren Präsidenten Jacques Chirac.
Die Notizhefte des Geheimdienstchefs waren im Januar von der Justiz beschlagnahmt worden. Vor zehn Tagen publizierte das Nachrichtenmagazin «Le Point» Auszüge aus den «Cahiers noirs». Sie zeigen das erschreckende Bild eines widerlichen Schnüfflers, der fiese Mittel und Tricks einsetzt, um die Feinde seines Auftraggebers zu diskreditieren. Telefon abhören, Wanzen einbauen, Abfallkübel durchwühlen, Concierges befragen.
Bertrands Agenten beschafften zweifelhafte Angaben über die sexuellen Praktiken eines Ministers, die Seitensprünge eines anderen, den angeblichen Drogenkonsum eines Kabinettschefs, über Probleme der Ausspionierten mit dem Steueramt. Insbesondere über Gegner und potenzielle Rivalen des damaligen Staatschefs Jacques Chirac notierte Bertrand fein säuberlich alle Intimitäten. Nie bewiesene Gerüchte und Unterstellungen machte der Geheimdienstchef ohne Skrupel zu «Ergebnissen von Recherchen». «Nie werde ich aufhören, den Ehebruch zu erhellen, der zur Scheidung von Nicolas Sarkozy von seiner ersten Frau geführt hat», notierte Bertrand im Januar 2003 – als Sarkozy bereits sieben Jahre mit seiner zweiten Frau Cécilia Ciganer verheiratet war.
Bertrand räumt ein, dass er in seinen 13 Heften nur «Gerüchte, Hinweise, Vermutungen, Verdächtigungen, Unterstellungen und Denunziationen» zusammentrug. Eine Verwendung sei nicht geplant gewesen. Warum er sie überhaupt niederschrieb und weshalb er sie bei seiner Pensionierung nicht vernichtete, muss er wohl dem Richter erklären. Nach Meinung von Sarkozys Anwalt hat der Inhalt der Hefte nichts mit dem Pflichtenheft der RG zu tun. Aufgabe der politischen Polizei ist die Überwachung und Bespitzelung extremistischer oder terroristischer Gruppierungen, welche die innere Sicherheit Frankreichs bedrohen könnten.
Mit demselben Fanatismus wie Chiracs Rivalen Sarkozy bespitzelte Bertrand auch den Sozialisten und früheren Premier Lionel Jospin und den Ex-Innenminister Charles Pasqua – beides Gegner Chiracs. Bertrands Hefte tauchen dann auch im Angolagate-Prozess über illegale Waffenverkäufe ins Bürgerkriegsland Angola auf. Einer der Angeklagten ist Pasqua. Dessen politische Karriere endete deshalb abrupt – und Chirac erbte seine Wähler. Der frühere Staatschef war der grosse Nutzniesser von Bertrands Schnüffelei – und riskiert nun, von den Ausspionierten zur Rechenschaft gezogen zu werden.