Bürgermeister im Zwielicht

In der kanadischen Provinz Québec grassiert die Korruption. In Montreal sind innerhalb von sieben Monaten zwei Stadtoberhäupter wegen Korruptionsverdachts zurückgetreten.

Bernadette Calonego
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Michael Applebaum gibt seinen Rücktritt bekannt. (Bild: ap/Ryan Remiorz)

Michael Applebaum gibt seinen Rücktritt bekannt. (Bild: ap/Ryan Remiorz)

VANCOUVER. Michael Applebaum hatte beim Amtsantritt als Bürgermeister von Montreal feierlich versprochen, mit der Korruption aufzuräumen. «Wir werden das Vertrauen unserer Bürger wieder gewinnen», hatte er erklärt. «Bei allem, was passiert ist, verstehe ich, dass man ihnen Schmerz zugefügt hat.» Doch vergangene Woche wurde Applebaum wegen Betrugs- und Korruptionsverdachts verhaftet, einen Tag später trat er zurück.

Mehrere Städte betroffen

Das hat die Menschen in Kanadas zweitgrösster Stadt schockiert. Applebaum ist bereits der zweite Stadtpräsident innert sieben Monaten, der wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste. Seinem Vorgänger wurde illegale Geldbeschaffung vorgeworfen. Jetzt sagt die Polizei, Applebaum sei zwischen 2006 und 2011, als er einem Stadtteil Montreals vorstand, in Bestechung im Zusammenhang mit Bauaufträgen verwickelt gewesen.

In der Provinz Québec hat die Anti-Korruptions-Truppe der Polizei seit Februar 2011 insgesamt sechs amtierende oder ehemalige Bürgermeister verhaftet.

Aber Montreal ist derzeit nicht die einzige skandalumwitterte Stadt: In Toronto, der grössten Stadt, hat Bürgermeister Rob Ford erst kürzlich internationales Aufsehen erregt: Medienberichte kursierten, wonach der 44jährige Politiker beim Crack-Rauchen mit einem Handy gefilmt worden sei.

In der Hauptstadt Ottawa sucht sich derweil Premierminister Stephen Harper vor einem Spesenskandal zu drücken, in den mehrere Senatoren seiner konservativen Partei verwickelt sind und wegen dem er seinen engsten Mitarbeiter entlassen musste. Es ist ein Glück für Harper, dass Ottawa im Ausland kein Reizwort ist. Aber Toronto und Montreal – diese Städte sind auch Amerikanern ein Begriff. «Was zum Teufel ist los mit den Bürgermeistern in Kanada?», fragte beispielsweise die US-Zeitschrift «The Atlantic». «Was geht vor mit unseren bescheidenen Nachbarn im Norden?»

Viel Geld vom Staat

Berichte über Korruption in Montreal sind nicht neu. Vor zwei Jahren nannte das kanadische Wochenmagazin «Maclean's» Québec die «korrupteste Provinz» Kanadas – und wurde dafür vom Parlament offiziell gerügt. Dass jetzt immer mehr kriminelle Machenschaften enthüllt werden, liegt daran, dass ein öffentlicher Ausschuss seit Monaten ermittelt.

Die Bauindustrie Montreals steht seit Jahren wegen Korruption und Verbindungen zur Mafia im Zwielicht. Die Stadt ist eine Hochburg des organisierten Verbrechens, wozu auch die Hells Angels gehören. In Québec haben besondere Umstände die Korruption begünstigt. In den letzten Jahrzehnten wurde die Provinz mit grossen Bauprojekten modernisiert: Strassen, Spitäler, Sportanlagen, Kraftwerke. Der Staat beteiligt sich hier viel stärker als in anderen Provinzen an solchen Bauvorhaben. Beobachter glauben, unter diesen Umständen sei Korruption fast unvermeidlich.

Dubioser Hintergrund

Die Affäre um den Bürgermeister von Toronto, der trotz Rücktrittsforderungen noch im Amt ist, ist bizarr. Der Handyfilm, der Rob Ford angeblich mit der Crack-Pfeife zeigt und der drei Journalisten gezeigt und von einem somalischen Drogenhändler für 200 000 US-Dollar zum Kauf angeboten wurde, ist nicht wieder aufgetaucht. Zeitungen publizierten aber ein Foto aus denselben Kanälen, die Ford angeblich vor einem Crack-Haus mit einem jungen Mann zeigt, der später ermordet wurde. Den anderen Mann auf dem Foto hat die Polizei vor wenigen Tagen bei einer Drogenrazzia verhaftet. Auch hier bleiben die Hintergründe im dunkeln.