BRÜSSEL: Polen in der EU isoliert

EU-Ratspräsident Donald Tusk ist gegen den Widerstand seines Heimatlandes Polen für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Die EU-Staats- und -Regierungschefs votierten gestern für ihn.

Remo Hess, Brüssel
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Remo Hess, Brüssel

Der Aufstand war von kurzer Dauer: Nur etwas mehr als eine halbe Stunde brauchten die EU-Staats- und -Regierungschefs gestern in Brüssel, um den ständigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk im Amt zu bestätigen. Zu Beginn des Gipfels sah es noch danach aus, als könnte die Wiederwahl zur Zitterpartie werden: «Nicht ohne uns, nicht ohne unsere Zustimmung», versprach Beata Szydlo, Polens Premier­ministerin, bei ihrer Ankunft in Brüssel. Die Polen kündigten an, die Wahl ihres Landsmannes mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Bekanntlich steht Jaroslaw Kaczynski, Chef der PiS-Regierungspartei und eigentlicher Strippenzieher in Warschau, seit Jahren auf Kriegsfuss mit dem Liberalen Tusk. Er wirft ihm unter anderem eine Verwicklung in den Flugzeugabsturz vor, bei dem sein Zwillingsbruder Lech und damaliger Präsident Polens 2010 getötet wurde.

Am Schluss stand es 27 zu 1 für Tusk. Nicht einmal Ungarns Premier Viktor Orbán, normalerweise ein bedingungsloser Freund Warschaus, wollte sich an der Revolte beteiligen. Generell war unter den EU-Staatenlenkern (ausser Polen) unbestritten, dass Donald Tusk seine Arbeit in den vergangenen zweieinhalb Jahren gut gemacht und deshalb eine zweite Amtszeit verdient hat. Der luxemburgische Premier Xavier Bettel sprach wohl vielen aus dem Herzen, als er sagte, dass er sich nicht «von einem Land als Geisel nehmen lassen» wolle. «Vielen Dank fürs Daumendrücken – es hat geholfen», bedankte sich Donald Tusk nach der Wiederwahl per Twitter und liess damit durchschimmern, dass er sich seiner Sache wohl auch nicht ganz so sicher gewesen war.

EU-Länder auf Wachstumskurs

Trotzdem: Dass Tusk ohne Unterstützung seines Heimatlandes gewählt wurde und die Einwände Polens einfach überstimmt wurden, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack des gestrigen Treffens. «Es ist schade, dass dieses Thema den ganzen Tag überlagert hat», war aus deutschen Regierungskreisen zu hören. Denn eigentlich sollten bei der Zusammenkunft andere, positive Zeichen gesetzt werden. Die Wirtschaftsbilanz in der EU ist so gut wie seit knapp zehn Jahren nicht mehr.

Sämtliche EU-Länder – samt dem krisengeplagten Griechenland – befinden sich auf Wachstumskurs, und die Budgetdisziplin hat sich durchs Band verbessert. Zudem konnten in der Flüchtlingskrise mit den verschiedenen Initiativen zur Einbindung der Herkunfts- und Transitländer, die in den letzten Monaten vorangetrieben worden waren, Fortschritte vermeldet werden. Und zuletzt sollte auch die Einweihung des neuen EU-Ratsgebäudes «Europa», in dem die Staatschefs gestern zum ersten Mal tagten, dem Treffen etwas Farbe verleihen.

Stattdessen wurde eifrig darüber gerätselt, ob Polen aus Protest den Gipfel vorzeitig verlassen würde, wie es Aussenminister Witold Waszcykoswki für eine Wiederwahl Donald Tusks in Aussicht gestellt hatte. Dazu kam es allerdings nicht. Der Grund lag auch darin, dass Premierministerin Beata Szydlo dann die Veröffentlichung der gemeinsamen Schlusserklärung nicht hätte verhindern können. Dass sie genau dies vorhat, gab Szydlo in einer Pressekonferenz kurz vor dem gemeinsamen Abendessen bekannt. Damit hinterlässt Polen eine symbolische Protestnote, auch wenn damit keine wichtigen Entscheide verhindert wurden.

60. Jahrestag wird ohne May gefeiert

Fraglich bleibt, wie konstruktiv Polen beim heutigen zweiten Gipfeltag mitarbeiten wird. Dieser dient zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Verträge von Rom am 25. März und findet ohne die britische Premierministerin Theresa May statt. Das Vereinigte Königreich will bekanntlich bis Ende Monat offiziell den Start zum Austritt aus der Europäischen Union bekanntgeben. In Rom soll deshalb neben der Rückschau auf die vergangenen sechs Jahrzehnte der Kurs gesetzt werden, in welche Richtung sich das politische Europa nach dem Brexit weiterentwickeln soll.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte dazu letzte Woche in seinem «Weissbuch» fünf Grundrichtungen dargelegt, die von einem reinen Binnenmarkt hin zu einem eigentlichen EU-Superstaat reichen. Polen hat auch hier eigene, mitunter starke Ansichten. «Mehr Europa» im Sinne von «mehr Brüssel», so viel ist klar, wird mit Warschau kaum zu machen sein. Aber im Gegensatz zu gestern ist Premierministerin Beata Szydlo diesmal nicht allein.