Brexit-Zoff
Eskalation im Ärmelkanal: Jetzt schickt London die Marineboote gegen französische Fischer los

Fischkutter aus Frankreich sperren den Hafen der britischen Insel Jersey – Grossbritannien antwortet martialisch. Der Fischereistreit lässt die Brexit-Spannungen aufbrechen.

Stefan Brändle aus Paris
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Die HMS Tamar: London schickt das Patrouillenboot in den Ärmelkanal. Der Streit zwischen Grossbritannien und Frankreich um Fischereirechte spitzt sich zu.

Die HMS Tamar: London schickt das Patrouillenboot in den Ärmelkanal. Der Streit zwischen Grossbritannien und Frankreich um Fischereirechte spitzt sich zu.

Finnbarr Webster/Getty Images

Napoleons Kontinentalsperre von 1806 ist zwar noch weit. Doch vor allem auf französischer Seite herrscht wilde Entschlossenheit, aufs Ganze zu gehen. Am Donnerstag blockierte das Fischereikomitee der Normandie mit fünfzig Kuttern die Zufahrt zum wichtigsten Hafen der englischen Kroninsel Jersey. In London hatte Premierminister Boris Johnson den unerhörten Vorgang antizipiert, indem er zwei Patrouillenboote der Marine Richtung Kanalinseln entsandte. Die HMS Tamar und die HMS Severn sollen die britischen Interessen schützen.

Anlass für die Eskalation ist die schleppende Vergabe britischer Fischlizenzen in den Gewässern um Jersey. Das Brexit-Abkommen sieht an sich eine klare Regelung vor: Die französischen Fischer dürfen in einer Übergangsphase weiterhin ihre Netze in den fischreichen und relativ ruhigen britischen Gewässern auswerfen; danach werden die Fangrechte reduziert.

Für den Brexit büssen

Die französischen Seite wirft den Briten vor, sie verzögerten auf perfide Art die Lizenzvergabe. Von 344 Gesuchen seien erst 41 bewilligt worden. Die Briten müssen nur Fischerboote zulassen, die seit 2012 in den Gewässern aktiv sind. Das ist für die Franzosen nicht immer leicht zu belegen.

Die Regierung Jerseys behauptete anfangs Woche in einem Communiqué, sie vergäbe die Fischereilizenzen exakt nach dem Wortlaut des Brexit-Abkommens von Dezember 2020.

Die französische Meeresministerin Annick Girardin macht dagegen politische Ursachen für den Zoff aus: «Grossbritannien hat seine Souveränität zurückerlangt und will das die Welt auch wissen lassen.» Die Brexit-Befürworter hätten die Vorteile für die eigenen Fischer jahrelang übertrieben; jetzt müssten die französischen Fischer dafür büssen.

Blackout auf der Insel?

Und das sei «unzulässig», fügte Girardin vor der Nationalversammlung in Paris an. Sie drohte offen damit, dass Frankreich unter anderem den Strom auf der grössten Kanalinsel Jersey kappen könnte, um seine Fischereirechte durchzusetzen. Die nur gut 20 Kilometer von der Normandie entfernte Kanalinsel und ihre 100'000 Einwohner erhalten die Elektrizität über drei Unterwasserkabel aus Frankreich. Jersey, Guernsey und ein paar kleinere Inseln gehören nicht zu Grossbritannien, sondern zur Krondomäne, geniessen aber den Schutz der britischen Aussen- und Verteidigungspolitik.

Johnson konnte die Ankündigung einer Hafenblockade deshalb nicht hinnehmen und reagierte mit der Entsendung zweier Marineboote. Eine solche Sperre wäre «völlig ungerechtfertig», erklärte er; zugleich rief er zu einem «Abbau der Spannungen» auf. Der britische Aussenminister Ian Gorst erklärte, es wäre «völlig unverhältnismässig, den Strom zu kappen, bloss weil Jersey ein paar zusätzliche Details liefern sollte».

Fischerboote gerammt

Nur um «Details» geht es allerdings mitnichten. Im Sommer 2018 waren Fischerboote beider Länder in der Bucht der Seine-Mündung erstmals aneinandergeraten. Muschelsucher aus England rammten dabei mehrere französische Fischerboote. Mit dem rabiaten Vorgehen wollten sie sich den Zugang zu den französischen Muschelbänken für die Zeit nach dem Brexit sichern.

Dass der EU-Austritt Grossbritanniens für Spannungen unter den Kanalfischern sorgen würde, vermag insofern nicht zu überraschen. Der neuste Clash zeigt aber darüber hinaus, dass sich beide Seiten nicht mehr an eine innereuropäische Kooperation oder gar Solidarität gebunden fühlen. Das führt gerade heute, da die Nerven wegen der Covid-Krise vielerorts blank liegen, sehr rasch zu neuem Streit zwischen Briten und Franzosen.