Auch Nigel Farage, der Vorsitzende der britischen Unabhängigkeitspartei (Ukip) und einer der einflussreichen Anführer der Brexit-Bewegung, gibt sein Amt ab.
LONDON. Der Brexit sorgt für immer neue Verwerfungen der britischen Politik. Gestern erklärte der Vorsitzende der nationalpopulistischen Ukip, Nigel Farage, seinen Rücktritt. Er habe «alles erreicht, was ich wollte», teilte der 52jährige Europaparlamentarier mit und reklamierte den Sieg beim EU-Referendum vor allem für seine Partei: «Jetzt will ich wieder mein eigenes Leben führen.»
Damit tritt ein Trio der wichtigsten englischen Politiker der letzten Jahre jedenfalls vorläufig von der politischen Bühne ab. Wie kein anderer verkörperte Farage die radikale EU-Feindschaft auf der Insel. Das Brexit-Votum mit 52:48 Prozent sei vor allem seiner Partei zuzuschreiben, sagte der Ukip-Chef: «Wir haben dafür gesorgt, dass Leute an die Urnen kamen, die sonst nie wählen gehen.» Tatsächlich war die hohe Wahlbeteiligung von 72 Prozent vor allem dem Umstand geschuldet, dass in Sozialsiedlungen und Arbeitervierteln viele Nichtwähler ihre EU-Feindschaft ausdrückten.
Dass dies überhaupt möglich war, verdankte Farage David Cameron. Der konservative Premier gab dem Drängen der Ukip-Quengler sowie seines eigenen rechten Parteiflügels nach und rief die Volksbefragung aus; nach der Niederlage trat der 49-Jährige vom Partei- und Regierungsamt zurück. Populärster Werber für den Brexit war aus privaten Karrieregründen der Konservative Boris Johnson, dessen erwartete Bewerbung um Camerons Nachfolge vergangene Woche ausblieb.
In der Regierungsfraktion wird heute erstmals über die fünf Parlamentarier abgestimmt, die Parteichef und Premierminister werden wollen. Als Favoritin gilt Innenministerin Theresa May, gute Unterstützung geniessen auch die Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom und Justizminister Michael Gove, während Sozialminister Stephen Crabb und der Hinterbänkler Liam Fox schon diese Woche aus dem Rennen scheiden dürften. Das endgültige Ergebnis soll bis Anfang September feststehen.
Ähnlich sieht auch der Zeitplan für die Nachfolge im Ukip-Vorsitz aus. Zur Verfügung stehen dürften Vizeparteichef Paul Nuttall, der walisische Regionalleiter Nathan Gill sowie der Einwanderungssprecher Steven Woolfe. Der einzige Abgeordnete im Londoner Parlament, Douglas Carswell, schloss gestern seine Bewerbung aus. Der 45-Jährige war 2014 von den Tories zu Ukip übergetreten. Er ist seit Monaten mit dem Parteichef zerstritten. Als Reaktion auf Farages Rücktritt versandte Carswell ein breit grinsendes Emoji mit Sonnenbrille.
Neben dem Führungsvakuum bei den Tories dürfte auch die anhaltende Lähmung der grössten Oppositionspartei Labour zu Farages Entschluss beigetragen haben. Bei den Sozialdemokraten hat die Unterhausfraktion dem linksradikalen Vorsitzenden Jeremy Corbyn das Vertrauen entzogen. Der 67-Jährige verweigert den Rücktritt und führt den Rückhalt der Mitglieder ins Feld.
Ukip fischte lange Zeit vor allem im Teich der nationalkonservativen Wähler rechts der Konservativen. In den letzten Jahren hat sich die Partei mehr und mehr den Globalisierungsverlierern der alten Arbeiterschicht gewidmet, die als traditionelle Labour-Wähler galten. In bisher für sicher gehaltenen Wahlkreisen Nordenglands kamen 2015 vielerorts Ukip-Kandidaten auf Platz zwei. «Wir haben eine grosse Gelegenheit gerade in traditionell Labour-geprägten Wohnvierteln», weiss Partei-Vize Nuttall, der selbst im breiten Dialekt seiner Heimatstadt Liverpool redet.
Der Banker Farage hingegen gehörte den Konservativen an, ehe er 1993 die Unabhängigkeitspartei mitbegründete. Diese trug von Anfang an ihr Hauptziel im Namen: Es ging konkret um den Austritt aus der EU. 1999 gelang Farage mit zwei anderen Ukip-Leuten der Einzug ins Brüsseler Parlament; seit der Europawahl 2014 entsenden die Nationalpopulisten die grösste Gruppierung von der Insel. Im vergangenen Jahr wählten immerhin 3,9 Millionen Briten die Partei, mehr als die Liberaldemokraten und die Schottische Nationalpartei (SNP) zusammengenommen. Durch das Mehrheitswahlrecht kam aber lediglich Carswell ins Unterhaus, wo sich auch 56 Nationalisten und acht Liberale tummeln.